„Lehrkräfte mussten sich überlegen, wie sie mit ihren Schülern weiterhin in Kontakt treten können.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist

Die Schließung der Schulen in der Coronakrise hat von einem Tag auf den anderen dazu geführt, dass Unterricht überwiegend digital stattfinden musste. Macht sich nun besonders negativ bemerkbar, dass die Digitalisierung an deutschen Schulen bisher nur wenig vorangeschritten ist?

Diesen Diskurs über die Digitalisierung der Schulen finde ich schwierig. Es wird zwar immer betont, dass Deutschland hinterherhinkt, aber in diesen Debatten geht es in erster Linie nur um Hardware. Je mehr Hardware da ist, umso besser hat man aufgeholt. Methodisch wird dann einfach etwas Analoges genommen und digitalisiert: Arbeitsblätter werden eingescannt, statt an der Tafel wird auf einem interaktiven Whiteboard geschrieben, Poster werden digital designt anstatt gebastelt und so weiter. Wenn der Lehrplan sich kaum ändert und die Lehrkräfte wenig Zeit eingeräumt bekommen, neue pädagogische Ziele und Aufgaben zu entwickeln, die sich nur mit digitalen Bildungsmedien umsetzen lassen, dann wird die Technologie nur als Werkzeug gesehen, und nicht als Teil eines möglichen Kulturwandels.

Was bedeutet das dann konkret für die Schulen und Lehrkräfte, gerade in der aktuellen Situation?

Technologien zu nutzen ist gerade jetzt sinnvoll und erleichtert vieles. Für wirklich digitalen Unterricht müssen aber neue Methoden eingesetzt werden. Zum Beispiel kann man Schüler Erklärvideos erstellen oder auch mal etwas programmieren lassen, damit sie verstehen, was überhaupt hinter dieser ganzen Technologie steckt. In der aktuellen Situation ist es besonders wichtig für Lehrkräfte geworden, mit den Schülern in Kontakt zu bleiben und soziale Interaktion aufrecht zu erhalten. Hier verknüpfen Lehrer das Digitale und das Soziale in neuartiger Weise. Ich habe beispielsweise von einer Aufgabe für den Politikunterricht gehört, für die die Schüler ein Thema wählen, sich Fragen überlegen und anschließend einen Diskussionsabend dazu mit der Familie veranstalten sollten. Die Diskussionsrunde haben sie per Audio oder Video aufgenommen und über die Lernplattform mit der Klasse geteilt. Mein Sohn, Schüler der zweiten Klasse, musste heute einen Krimi anhören und dazu Aufgaben lösen. Den Krimi hatten wiederum die Viertklässler gemacht, die bereits wieder in die Schule gehen. Er hat sich wirklich gefreut, bekannte Stimmen zu hören. Ich beobachte gerade, dass sich Lehrer zunehmend virtuell vernetzen, um solche Ideen für neue Aufgaben auszutauschen.

„Es gibt viele Schüler, die derzeit nur auf dem Smartphone der Eltern ihre Lernaufgaben durchführen können.“

Gibt es dazu auch Fortbildungsangebote für Lehrkräfte?

Angebote gibt es, im Bereich der Digitalisierung handelt es sich hierbei aber oft nur um eine Einführung in digitale Werkzeuge. Zielfördernder wären kreativere Angebote, die es jedoch nur selten gibt. Dort können Lehrkräfte verschiedene Software ausprobieren, Konzepte für ihren eigenen Unterricht damit entwickeln und sich gleichzeitig mit anderen Lehrkräften und Experten austauschen. Ähnliches haben viele Schulen übrigens jetzt in der Coronazeit gemacht.

Digitale Medien sind für einige Lehrkräfte eine Hürde. Oft hatten sie im Alltag keine Zeit sich damit zu beschäftigen oder wussten nicht wozu, da der Unterricht ja auch wie gewohnt stattfinden sollte. Aber jetzt mussten sie sich überlegen, wie sie mit ihren Schülern weiterhin in Kontakt treten können und haben gemerkt, dass es gar nicht so kompliziert ist. Momentan ist die Fehlertoleranz zudem sehr hoch, es kann einfach mal etwas ausprobiert werden, auch wenn man meint, etwas nicht zu beherrschen. Niemand erwartet eine Hochglanz-Videoproduktion, Schüler freuen sich, ihre Lehrkräfte zur Zeit überhaupt in Videos zu sehen. Die Zeitfrage ist aber sehr wichtig, es sollte zukünftig ein Kontingent an Entlastungsstunden geben, um digitale Aufgaben zu entwickeln.

So ganz ohne digitale Werkzeuge kommen Schüler momentan und voraussichtlich auch zukünftig nicht aus. Was bedeutet das für Kinder aus einkommensschwachen oder bildungsbenachteiligten Familien?

Das ist ein wichtiger Punkt. Ich habe den Eindruck, dass viele Entscheidungsträger erst jetzt gemerkt haben was es bedeutet, wenn manche Kinder in der Klasse eine Vielzahl an Geräten haben und andere gar keine. Laut der KIM-Studie haben 97 Prozent der Kinder ein Handy oder Smartphone im Haushalt, aber nicht alle haben ausreichend Datenvolumen oder WLAN zuhause. Auch wenn das Handy teils kaputt ist, wird es hier dazugezählt. Es gibt viele Schüler, die derzeit nur auf dem Smartphone der Eltern ihre Lernaufgaben durchführen können.

„Es sollte jedoch nicht nur Hardware gefördert werden. Die soziale Komponente ist auch wichtig.“

Wie könnte dies geändert werden?

Es sollte von Politik und Schulen gewährleistet werden, dass jedes Kind Zugang zu einem Gerät hat. Manche Schulen verleihen beispielsweise Laptops, aber es gibt auch Projekte, die Spenden organisieren, da von offizieller Seite nicht genug Material zur Verfügung steht. Oft wurde darüber geklagt, dass die Digitalpakt-Gelder bisher nicht ausgegeben wurden, das ist aber vielleicht gut so. Vor Corona wurde beispielsweise die Anschaffung von 3D-Druckern an Schulen diskutiert, jetzt ist vielen klarer, wozu die Gelder wirklich gebraucht werden. Das neue Sofortprogramm mit 500 Millionen Euro für mobile Geräte an Schulen ist ein wichtiger Schritt. Die GEW hat allerdings gefordert, dass die Mittel nach dem Sozialindex verteilt werden.

Es sollte jedoch nicht nur Hardware gefördert werden. Die soziale Komponente ist auch wichtig: Für vieles braucht man keine komplizierte Hardware und auch nicht die neuste, sondern vor allem gute Ideen. Für gute Ideen braucht es wiederum Zeit und Personal, um beispielsweise barrierearme Angebote für betroffene Kinder in Jugendzentren oder jetzt auch während der Notbetreuung zu entwickelt.

 

Zur Person

Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist ist Professorin für Medienforschung mit dem Schwerpunkt Bildungsmedien an der Georg-August-Universität Göttingen und leitet am Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig die Abteilung für Mediale Transformationen. Sie forscht an der Schnittstelle von Medien und schulischer Bildung mit einem besonderen Fokus auf den sozialen und politischen Kontext von Bildung in der digitalen Welt.

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