Wie wichtig war das Konzept der Gewaltfreiheit für die Proteste?
Das Konzept der Gewaltfreiheit war umstritten, weil es so viele verschiedene Gruppen in der Bewegung gab. Für die meisten Atomkraftgegner*innen war Gewaltfreiheit sehr wichtig und wurde auch als Merkmal der Bewegung gesehen. In einer Zeit, in der die RAF und andere gewaltsame Gruppen Widerstand leisteten, war es für viele Atomkraftgegner*innen wichtig, sich davon abzugrenzen. Es wurde diskutiert, ob es beispielsweise gewaltsam ist, sich vor einen Bagger zu stellen und den Bau zu stoppen und damit das Eigentum der mit dem Bau des Atomkraftwerks beauftragten Firma zu beschädigen, ob es Gewalt gegen Sachen gibt. Noch wichtiger waren Debatten über die teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Polizei, wobei man beide Seiten möglicherweise als „gewalttätig“ beschreiben könnte. Bei einem Protest in Frankreich, an dem auch sehr viele deutsche Atomkraftgegner*innen teilnahmen, wurde ein Protestant von einem Polizisten getötet. Also, es gab ein Ringen um die Frage der richtigen Protestform, darum was man machen darf oder muss, und es gab Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizei. Es kam aber nicht zu geplanten gewalttätigen Angriffen gegen Menschen durch die Anti-Atomkraft-Bewegung.
An der Auswahl Gorlebens als Standort für die integrierte Entsorgungsanlage gab es viel Kritik. Was ist damals schief gelaufen?
Bei dieser Frage kommt es darauf an, was man als Ziel sieht. Wenn es um Fehler bei der Umsetzung des Projekts geht, dann würde ich sagen wäre es wichtig gewesen, mehr Zustimmung in der Bevölkerung aufzubauen, bevor man sich für einen Standort entscheidet. Ich glaube, dass wird auch jetzt das Problem, dass man die Leute überzeugen muss. Ein Fehler könnte es auch gewesen sein, sich für Kernkraft zu entscheiden, bevor man beantwortet hat, was man dann letztendlich mit dem Müll machen wird. Außerdem hat die Thematik Kernkraft viel mit Top-Down-Politik zu tun. Es muss zentral entschieden werden, weil es um große Anlagen geht, von denen Gefahren ausgehen können. Es ist eine wirklich schwierige Frage, wie man diese Art des Entscheidens mit Demokratie und Beteiligung der Bevölkerung verbinden kann. Daraus können sich Schwierigkeiten bei der Durchsetzung ergeben. Zum Teil entstand der Widerstand gegen das Entsorgungsprojekt auch weil man sich nicht ernst genommen fühlte und den Eindruck hatte, man dürfe bei Themen, die die eigene Existenz und Gesundheit betreffen, nicht mitreden.