Foto: Andreas Gücklhorn / Unsplash

Klimaschutz und Artenschutz: Partner und Konkurrenten

Warum sich Klimaschutz und Artenschutz bisher oft ausschließen

Ihr Ziel ist das Gleiche: Biodiversitäts- und Klimaschützer*innen kämpfen für intakte Ökosysteme und gegen deren Bedrohungen durch den Menschen. Zumeist ziehen sie dabei an einem Strang. Zwei Drittel der globalen Ziele zum Erhalt der Biodiversität helfen zugleich den Klimawandel zu verlangsamen, stellte im Mai 2022 ein internationales Team von Wissenschaftler*innen fest. Umgekehrt nutzen jedoch nicht alle Maßnahmen gegen die Erderwärmung auch der Artenvielfalt. Insbesondere der Ausbau mancher regenerativer Energien kann der Biodiversität zuweilen sogar schaden.

Darauf weisen Expert*innen im Mitte 2021 erschienenen Workshop-Bericht „Biodiversität und Klimawandel“ des Weltklimarats IPCC und des Weltbiodiversitätsrats IPBES hin. Unter anderem wirke sich der Anbau von Bioenergiepflanzen in Monokulturen negativ auf Ökosysteme aus. Auch sei es keine gute Idee, als Klimaschutzmaßnahme großflächig Bäume in Ökosystemen anzupflanzen, die historisch keine Wälder waren. Es war die erste gemeinsame Veröffentlichung dieser beiden wichtigen Gremien. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse bilden die Basis für die politischen Entscheidungen auf dem UN-Klimagipfel im ägyptischen Sharm El Sheikh und dem im Dezember folgenden UN-Weltnaturgipfel in Montreal. In Kanada soll ähnlich dem Pariser Klimavertrag von 2015 ein global verbindliches Rahmenabkommen zum Schutz der Ökosysteme verabschiedet werden. Es wäre ein Meilenstein für den Artenschutz. Doch noch fällt es den Beteiligten schwer, eine ähnliche mediale Aufmerksamkeit wie die Klimaschützer zu erzeugen.

„Wir alle erleben die Auswirkungen des Klimawandels. Aber wenn der Orangutan aussterben würde, tangiert das unser Leben in Deutschland nicht wirklich.“

Prof. Dr. Almut Arneth, Professorin am Insitut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

„Extremwetterereignisse mit vielen Opfern machen mehr Schlagzeilen als eine aussterbende Art“, so Prof. Dr. Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Wir alle erleben die Auswirkungen des Klimawandels. Aber wenn der Orangutan aussterben würde, tangiert das unser Leben in Deutschland nicht wirklich.“ Und dann ist da noch die knackige Botschaft: Das 1,5 Grad Ziel, bis zu dem die globale Erwärmung noch als handhabbar gilt, scheint medial allgegenwärtig. „Biodiversität ist zu komplex, als dass wir das ähnlich griffig auf den Punkt bringen könnten“, sagt die Forscherin.

Auch wenn die UN-Gipfel beide Themen weiterhin trennen. In der Wissenschaft ist die Arbeit von Biodiversitäts- und Klimaforscher*innen seit langem vernetzt. „Die Grenze gibt es innerhalb der wissenschaftlichen Community eigentlich nicht mehr“, sagt Arneth. Sie hat als Autorin sowohl an den Berichten des IPBES als auch des IPCC mitgewirkt. 2022 erhielt sie den renommierten Leibniz-Preis für ihre Forschung zu den Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Landökosystemen. Wie beeinflusst die Nutzung von Äckern, Weiden und Wäldern in verschiedenen Regionen auf der Welt das Klima? Und wie reagieren dort umgekehrt Vegetationstypen auf den Klimawandel?

Die Expertin nennt als Beispiel den borealen, also nördlichen Nadelwald in Skandinavien. Der mag keine Wärme und verschiebt sich mit dem Klimawandel Richtung Norden, in den Bergen entsprechend in kühlere höhere Zonen. Doch dieser Wanderbewegung sind Grenzen gesetzt, sie kann das Artensterben nur bedingt aufhalten. In den höheren Gesteinsregionen der Berge finden Pflanzen keine Nährstoffe. In der Ebene stehen den Lebewesen wiederum Barrieren wie Städte oder große Weideflächen im Weg. „Salopp gesagt, ein Frosch hüpft nicht mal eben von Süden nach Norden durch Berlin.“ Für viele Lebewesen ändert sich das Klima auch einfach zu rasch, als dass sie sich der Erwärmung rechtzeitig anpassen oder entziehen könnten. Dann sind sie vom Aussterben bedroht.

Anhand von Computersimulationen kann Arneths Team am KIT durch den Klimawandel  bedingte Veränderungen und Verschiebungen in den Ökosystemen auf der ganzen Welt prognostizieren. Mit Einschränkungen, wie sie betont. Böden, Vögel, Insekten und Pflanzen existieren in Lebensgemeinschaften. „Die Komplexität dieser Gemeinschaften können die Simulationen noch nicht erfassen.“ Dazu fehlen oftmals Messungen, die nicht nur den Kohlenstoffkreislauf , also die Umwandlung von Kohlenstoff durch Pflanzen und Tieren erfassen, sondern auch Aufschluss über die Entwicklung der Biodiversität in der betreffenden Region geben.

Dass diese mehr geschützte Flächen braucht, ist Konsens unter den Wissenschaftler*innen. Auf dem Montrealer Gipfel wollen führende Industrieländer daher 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten bis 2030 unter Schutz stellen. Bei diesem Ziel gehen Arten- und Klimaschutz Hand in Hand. Intakte Wälder, Moore und Ozeane sind Horte der Artenvielfalt und senken als effiziente Kohlenstoffspeicher zugleich den CO2-Gehalt der Atmosphäre. Auch in dieser Funktion nutzen sie dem dem Artenschutz: Denn die globale Erwärmung stellt eine der größten Bedrohungen für die Biodiversität auf der Erde und in den Ozeanen dar.

„Oft wird Klimaschutz ohne Artenvielfalt gedacht. Das müssen wir ändern.“

Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Leiter der Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut (AWI)

„Gesunde Ökosysteme mit einer hohen Biodiversität sind resilienter gegenüber dem Klimawandel“, bringt es Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner auf den Punkt. Der Klimaforscher ist Leiter der Sektion Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut (AWI). „Wichtig ist, dass Natur- und Klimaschutz aufeinander abgestimmt werden“, formuliert er seine Erwartungen an den Gipfel in Montreal. „Oft wird Klimaschutz ohne Artenvielfalt gedacht. Das müssen wir ändern.“

Pörtner plädiert für eine mosaikartige Aufteilung der Welt in Schutzzonen, Wanderkorridore und nachhaltig vom Menschen genutzte Flächen an Land und im Ozean. Die Meere sind gigantische CO2-Speicher, doch sie versauern durch den aufgenommenen Kohlenstoff. Mit steigenden Temperaturen können sie zudem immer weniger Sauerstoff aufnehmen. Ihre Bewohner flüchten sofern sie können in kühlere Regionen, in die Tiefe oder in Richtung der Pole. Doch ihre Rückzugsorte schrumpfen. Meeresforscher*innen sprechen von einem tödlichen Trio, das mit dem Klimawandel wirksam wird: Wärme, Sauerstoffarmut und Ozeanversauerung.

Die Natur darf nicht als Reparaturkasten für menschliches Fehlverhalten dienen, darin sind sich die Wissenschaftler*innen einig. Noch so ausgedehnte Wälder, Moore und Ozeane können ohnehin als CO2-Speicher den Klimawandel nicht stoppen, wenn der Mensch nicht handelt. Eine wichtige Stellschraube ist der globale Fleischkonsum: „60 Prozent unserer Kulturflächen werden für Tierfutter genutzt“, sagt Pörtner. „Wenn es gelingt, den Fleischkonsum drastisch zu reduzieren und die Produktion von Tierfutter zurückzudrängen, stehen mehr Landflächen für die pflanzenbasierte menschliche Ernährung und die Biodiversität zur Verfügung.“

„Wir brauchen naturverträgliche Formen erneuerbarer Energien.“

Prof. Dr. Almut Arneth, Professorin am Insitut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Doch noch zentraler ist der rasche Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas. Dies ist eine der Kernforderungen von Klima- und Artenschützern gleichermaßen. Bei der Umsetzung dieses Ziels kommen sie sich dann allerdings doch mal in die Quere. Zwar lässt sich aus Sonne, Wasser, Biomasse und Wind emissionsfrei Energie erzeugen. „Aber die Flächenziele für Photovoltaikanlagen und Windräder können durchaus auch in Konkurrenz zum Artenschutz stehen, wenn diese nicht ökologisch nachhaltig gedacht und installiert werden“, sagt Almut Arneth. Auch Maisfelder für Biogasanlagen fressen Platz und beschränken als Monokulturen die Artenvielfalt.

Der Wissenschaftlerin liegt es fern, eine Konkurrenz zwischen den Themen zu eröffnen „Aber wir brauchen naturverträgliche Formen erneuerbarer Energien.“ Solarmodule könnten mit Abstand zum Boden installiert werden, so dass dieser weiter für die Natur oder auch zur Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung steht. Hans-Otto Pörtner plädiert dafür, die Dächer der Welt mit Solarpanelen auszurüsten. Dies würde den Energiebedarf decken.

Die Zeit drängt. Die gesicherten Erkenntnisse der Klima- und Biodiversitätswissenschaftler*innen liegen längst auf dem Tisch, betonen beide: „Wir müssen jetzt endlich konsequent handeln.“

Mehr zu dem Thema