Foto: nattanan23 / Pixabay

Der Wert der Natur

Über die Ökonomisierung und den Wert von Biodiversität

Biodiversität geht stetig zurück. Verschwindet biologische Vielfalt, schwindet eine relevante Wirtschaftsgrundlage und auch unser Wohlergehen wird minimiert: Eine belastete Umwelt wirkt sich negativ auf unsere Gesundheit aus, schränkt die Lebensqualität ein und erschwert es uns, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Das wiederum zieht gesellschaftliche Folgekosten nach sich.

Weltweit geben nationale Regierungen 500 Milliarden US-Dollar jährlich für Subventionen für Energie, Landwirtschaft, Wasser und Fischerei aus, die der biologischen Vielfalt nachhaltig schaden. Diese Schäden kosten weltweit pro Jahr vier bis sechs Billionen US-Dollar. In Biodiversitätsschutz wird deutlich weniger investiert: zwischen 78 und 143 Milliarden US-Dollar jährlich. Das entspricht 0,1 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Das schreibt der britische Wirtschaftswissenschaftler Partha Dasgupta im sogenannten Dasgupta-Review, das versucht, Leistungen zu berechnen, die die Natur den Menschen bereitstellt – sogenannte Ökosystemleistungen.

 

Ökosystemleistungen sind Leistungen oder Güter, die die Natur den Menschen bereitstellt und die zum menschlichen Wohlergehen beitragen – direkt oder indirekt.

Versorgungsleistungen: direkte Leistungen wie Trinkwasser, saubere Luft, Nahrungsmittel oder Rohstoffe wie Holz oder fossile Brennstoffe.

Regulierende Leistungen: Mechanismen, über die beispielsweise das Klima reguliert wird, zum Beispiel durch natürliche Kohlenstoffspeicherung in Bäumen oder in Moorböden. Aber auch die Bestäubung von Nutzpflanzen oder der natürliche Hochwasserschutz gehören dazu.

Kulturelle Leistungen: zum Beispiel Grünanlagen als Erholungsmöglichkeit oder auch die Ästhetik der Natur.

 

Quelle: Millennium Ecosystem Assessment

Ziel einer Ökonomisierung von Ökosystemleistungen ist es, Werte für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sichtbar zu machen und somit in private und öffentliche Entscheidungen einfließen zu lassen.

Inwertsetzung biologischer Vielfalt

Die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen beschreibt Biodiversität als die Vielfalt aller lebenden Organismen, innerhalb und zwischen Arten sowie die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Für Prof. Dr. Andreas Hetzel, Philosoph an der Universität Hildesheim, geht es jedoch um mehr: „Sie drückt auch Beziehungen und Abhängigkeiten innerhalb von wie auch zwischen Arten und Ökosystemen aus und ist damit hochkomplex.“

Aufgrund dieser Komplexität sei es nicht einfach, Biodiversität in einem Wert abzubilden, erklärt Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: „Biodiversität wird in der Regel nicht auf Märkten gehandelt. Daher müssen wir die Leistungen der Natur anders bewerten.“ Der Umweltökonom war Studienleiter der Studie „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“, in der  Ökosystemleistungen für Deutschland berechnet wurden.

Der Wert von Ökosystemleistungen kann beispielsweise durch direkte Abfrage der Zahlungsbereitschaft oder aber indirekt durch Berechnungen mittels „Hilfsgrößen“ ermittelt werden. Um den Wert von Grünanlagen zu bewerten, werden zum Beispiel Immobilienpreise in unmittelbarer Nähe herangezogen. Bei Bestäuberleistungen die Preise von Marktgütern wie Honig, Obst oder Gemüse.

„Mit einem Geldwert können wir deutlicher zeigen, was eine Art oder ein Ökosystem für einen Wert hat. Das ist eine gute Entscheidungsgrundlage für die Gesellschaft.“

Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

Hansjürgens betont allerdings: „Ein exakter Wert einer Ökosystemleistung lässt sich nicht erfassen, da Werte subjektiv sind.“ Diese Werte sind unter anderem von Faktoren wie dem Einkommen der Menschen oder ihrem kulturellen Hintergrund abhängig. Obwohl es sich dabei also zumeist um Annäherungswerte handelt, spricht der Ökonom sich dennoch dafür aus, wenn möglich, konkrete Geldwerte zu ermitteln: „Wir denken bei unseren Kaufentscheidungen ökonomisch – sowohl gesellschaftlich als auch privat. Mit einem Geldwert können wir deutlicher zeigen, was eine Art oder ein Ökosystem für einen Wert hat. Das ist eine gute Entscheidungsgrundlage für die Gesellschaft.“ Weist beispielsweise eine Kommune eine Fläche als Bauland aus, dann seien vor allem die Vorteile wie Wohnungen, Arbeitsplätze oder Industrieflächen präsent. Man vergesse aber, was an Biodiversität und Ökosystemleistungen verloren gehe, weil sie keinen festgehaltenen Geldwert habe.

„Die Natur hat einen Nutzen und damit auch einen Wert für uns Menschen, aber sie ist auch über diesen Nutzen hinaus schützenswert.“

Prof. Dr. Andreas Hetzel, Professor für Philosophie an der Universität Hildesheim

Bei der Inwertsetzung von Biodiversität handelt es sich um einen anthropozentrischen Ansatz. Er rückt den Nutzen für den Menschen in den Fokus. Kritiker*innen dieser Sichtweise fürchten eine „Vermarktung der Natur“, wenn ihr ein rein nutzenbasierter  monetärer Wert zugeordnet wird. Auch Andreas Hetzel sieht eine monetäre ökonomische Bewertung von Biodiversität skeptisch. Für ihn greift dieses Konzept zu kurz: „Die Natur hat einen Nutzen und damit auch einen Wert für uns Menschen, aber sie ist auch über diesen Nutzen hinaus schützenswert.“ Ähnlich wie Partha Dasgupta in seinem Review plädiert auch Hetzel dafür, einen Eigenwert der Natur in die Bewertung einzubeziehen.

„Der Eigenwert der Natur ist schwierig zu erfassen“, erklärt Bernd Hansjürgens und fragt: „Wer sonst als der Mensch könnte überhaupt so eine Bewertung vornehmen?“ Sie sei zwangsläufig anthropozentrisch. Der Eigenwert von Biodiversität werde bei der ökonomischen Bewertung bisher nicht berücksichtigt, sagt Hansjürgens. Der ökonomische Ansatz sei dennoch vergleichsweise umfassend und schließe auch eventuelle Nutzen für künftige Generationen mit ein.

Hetzel kritisiert: „Wir wissen gar nicht, welche Nutzungsmöglichkeiten zukünftige Generationen mit bestimmten Aspekten von Biodiversität verbinden könnten, die wir heute noch gar nicht sehen.“ Einen Eigenwert der Natur einzubeziehen, könne sich langfristig sogar ökonomisch lohnen, denn er hindere uns daran, die Biodiversität zu zerstören. Für den Philosophen Hetzel spielt auch das Nichtwissen eine große Rolle – insbesondere beim Biodiversitätsschutz. Wir wissen, dass biologische Vielfalt nötig ist. Wir wissen aber nicht, wie viel Vielfalt nötig ist, um das menschliche Überleben zu sichern. „Biodiversität in ihrem Eigenwert anzuerkennen bedeutet immer auch, zu akzeptieren, dass da etwas ist, das mein Wissen überschreitet und zu dem ich nie einen Zugang finden werde.“ Daher sollten wir versuchen, Biodiversität so wenig wie möglich zu reduzieren, so Hetzel.

„Im klimapolitischen Bereich spielt Inwertsetzung inzwischen eine große Rolle. Im Biodiversitätsschutz bisher weniger, aber es geht seit einigen Jahren deutlich in diese Richtung.“

Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

Beide Experten sind sich einig, dass es wichtig ist, der Natur einen Wert zu geben. Ein rein ökonomischer Blick darauf ist jedoch umstritten, vor allem wenn er allein auf Monetarisierung abzielt.

Hetzel geht ein rein monetärer Wert nicht weit genug. Hansjürgens sieht ihn als wichtiges Kommunikationsmittel, um deutlich zu machen, dass der Verlust von Ökosystemleistungen die Gesellschaft doch etwas kosten, obwohl sie zunächst kostenlos erscheinen. Ob Inwertsetzung der Natur auch auf politischer Ebene erfolgreich sein kann, lässt sich nicht abschließend sagen: „Gerade im klimapolitischen Bereich spielt Inwertsetzung inzwischen eine große Rolle“, so Hansjürgens. „Im Biodiversitätsschutz bisher weniger, aber es geht seit einigen Jahren deutlich in diese Richtung.“

Statement zu den Ergebnissen der Weltbiodiversitätskonferenz COP15

Es wurde im Vorfeld der 15. Biodiversitätskonferenz in Montreal wenig erwartet, und während der Konferenz sah es lange Zeit nicht gut aus. Doch nach Konferenzende muss man feststellen: Es ist ein großer Erfolg für die Sicherung der biologischen Vielfalt erzielt worden. Besonders bedeutsam: auch die Wirtschaft wird endlich adressiert. Die größten Unternehmen müssen die Wirkungen, Abhängigkeiten und Auswirkungen ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit Biodiversität nunmehr offenlegen. Dies dürfte einen erheblichen Schub für den Unternehmensbereich nach sich ziehen. Denn es werden neue Bewertungskriterien entwickelt werden müssen, etwa eine Konkretisierung der ESG (Environment, Social, Governance)-Regeln, die bisher allenfalls – wenn überhaupt – Aspekte des Klimaschutzes berücksichtigten, die biologische Vielfalt aber völlig außer Acht ließen. Erforderlich ist zudem ein geeignetes Monitoring der unternehmerischen Aktivitäten, das nun aufgebaut werden muss. Denn ein methodisch sauberes und überprüfbares Berichtssystem ist unabdingbare Voraussetzung für das Reporting des Unternehmenserfolgs. Wenn dies umgesetzt wird, könnte dies der Beginn eines bedeutenden Wandels in den Geschäftspraktiken sein – nicht nur in den direkt angesprochenen Bereichen Kaffee, Palmöl oder Kakao, sondern im gesamten Unternehmensbereich und dem Finanzsektor. Nach Angaben der Vereinten Nationen hängt etwa die Hälfte des weltweiten BIP vom gesunden Funktionieren der Umwelt ab.

Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Leiter des Departments Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

Portrait von Bernd Hansjürgens
Foto: André Künzelmann, UFZ

Mehr zu dem Thema