„Cannabis liegt bei der Zahl der Suchtbehandlungen in Deutschland auf Platz zwei.”

Ein Gespräch mit PD Dr. Eva Hoch

Was ist Cannabis eigentlich genau und wie wirkt es?

Cannabis ist eine Gattung der Hanfgewächse mit psychoaktiven Wirkstoffen. Es wird meist in Form von Haschisch (Harz) oder Marihuana (Gras) als Rauschmittel konsumiert. Die psychoaktive Substanz kann unser Fühlen, Denken und Handeln verändern. Wie Cannabis wirkt, hängt von der Art der Hanfsorte und deren Inhaltsstoffen ab. Bisher wurden 144 verschiedene Cannabinoide entdeckt, vermutlich gibt es aber noch viel mehr. Die wichtigsten Hauptwirkstoffe sind δ-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Wenn THC konsumiert wird, wandert es durch den Körper und auch ins Gehirn. Es bindet dort an spezifische Schlüsselstellen, den sogenannten Cannabinoid-Rezeptoren vom Typ 1 (CB1 Rezeptoren). Dort kann es die Nervenzelle und auch andere Neurotransmitter-Systeme beeinflussen. So entstehen seine vielfältigen Effekte.

CB1-Rezeptoren kommen besonders häufig in Gehirnbereichen vor, die Bewegung, Koordination, lernen, Gedächtnis und Vergnügen koordinieren. Der zweite Hauptwirkstoff CBD wirkt ebenfalls im endocannabinoiden System. Er kann vermutlich einige der schädlichen Effekte von THC ausgleichen. Internationale THC-Monitoringprogramme zeigen, dass der THC-Gehalt in Cannabisprodukten in den letzten 10 Jahren deutlich angestiegen ist. Der CBD-Gehalt ist oft nur noch sehr gering. Welche Auswirkung dieses THC:CBD-Verhältnis auf die Gesundheit hat, sollte unbedingt näher erforscht werden.

„Bei längerem intensiven Konsum kann es zu Beeinträchtigung von Lern- und Erinnerungsleistung kommen.“

Sie sprechen von vielfältigen Effekten, welche sind dies genau?

Cannabis kann Glücksgefühle erzeugen, entspannen und einen Rauschzustand auslösen. Das sind alles positive Effekte, die Cannabis zu einer beliebten Freizeitdroge machen. Cannabis kann aber auch unangenehme Wirkungen haben, insbesondere wenn es von Konsumunerfahrenen oder in hohen Dosen konsumiert wird. Das Kurzzeitgedächtnis kann dann beeinträchtigt sein, es kann zu Gedankensprüngen und Verwirrtheit kommen. Eingeschränkte Aufmerksamkeit und Koordination können auch die Fahrtüchtigkeit reduzieren. Manche Konsumenten haben im Rausch Erinnerungslücken und „Filmrisse“. Andere erleben Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Außerdem gibt es das Phänomen eines negativen Rausches: Cannabis kann Gefühle, die ohnehin schon da sind, verstärken und so kann es zu Depressivität, Angst, Panik und psychotischen Symptomen kommen.

Bei längerem intensiven Konsum kann es zu Beeinträchtigung von Lern- und Erinnerungsleistung kommen. Auswirkungen auf die Intelligenz wurden nicht in allen Studien bestätigt. Die kognitiven Funktionsdefizite sind eventuell umkehrbar, wobei noch unklar ist, ob und nach welcher Zeit der Abstinenz. Vor allem bei Jugendlichen, die bereits vor dem 15. Lebensjahr begonnen haben, viel Cannabis zu konsumieren, kann längerfristig auch der Bildungserfolg eingeschränkt sein. Bei vulnerablen Personen gibt es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Cannabisgebrauch und einem erhöhten Risiko für spätere psychische Erkrankungen (wie z.B. Depressionen, Angststörungen, Bipolare Störungen oder Psychosen). Hier scheint es einen Dosis-Wirkungs-Effekt zu geben: Je mehr und intensiver Cannabis gebraucht wird, desto größer wird das Risiko zu erkranken. Die Entstehung von psychischen Störungen ist natürlich immer ein komplexes Zusammenspiel aus Veranlagung und verschiedenen Stressoren, aber Cannabis kann eben einer dieser Risikofaktoren sein.

„Die Behandlungszahlen wegen cannabisbedingten Problemen sind im letzten Jahrzehnt in Europa angestiegen.“

Wie wahrscheinlich ist es, dass Menschen eine Abhängigkeit entwickeln?

Epidemiologische Studien schätzen, dass 9 Prozent aller Erstkonsumenten eine cannabisbezogene Störung entwickeln. Die Rate steigt auf 17 Prozent an, wenn der Konsum in der Adoleszenz beginnt und auf 25 bis 50 Prozent, wenn täglich konsumiert wird. Nur ein kleiner Teil der Gesellschaft betreibt diese riskante Konsumform. Sie erhöht jedoch bei vulnerablen Personen das Risiko für eine Abhängigkeitsentwicklung. Es kommt dann zu einem starken Wunsch, die Droge zu gebrauchen, die Kontrollfähigkeit ist vermindert. Auch körperliche Entzugssymptome können entstehen, wie z.B. starkes Schwitzen, Schlafprobleme, Reizbarkeit. Diese Symptome gehen vermutlich mit einer Reduktion des CB1-Rezeptors im Gehirn einher, wie bildgebende Verfahren zeigen. Die gute Nachricht ist, dass sich die Cannabis-Rezeptoren bei Abstinenz wieder zurückbilden können. Die Behandlungszahlen wegen cannabisbedingter Probleme sind im letzten Jahrzehnt in Europa angestiegen. In Deutschland ist Alkohol ist immer noch Spitzenreiter, was die Zahl der Suchtbehandlungen angeht, Cannabis liegt auf Platz zwei.

„Vor dem Hintergrund der Legalisierungsdebatte und der Kommerzialisierung von Cannabis wird es den Cannabisforschern teilweise unmöglich gemacht, den Kenntnisstand zu dem Thema voranzutreiben.“

Cannabis gilt als Hoffnungsträger in der Schmerztherapie, wie bewerten sie dies?

In diesem Bereich gibt es sicherlich die beste Datenlage zur Wirksamkeit von Cannabisarznei. Dabei geht es allerdings nicht um akute Schmerzen, sondern um chronische Schmerzerkrankungen, also solche, die länger als drei Monate anhalten. Gegen akute Schmerzen hat Cannabis kaum eine Wirkung. Es hat aber das Potenzial, in Kombination mit anderen Analgetika (z.B. Opioiden oder Antidepressiva) langanhaltende Schmerzen zumindest moderat – also um ca. 30 Prozent – zu mindern. Es gibt zweifelsfrei Menschen, denen Cannabisarznei hilft, besser mit ihrer Erkrankung klarzukommen, die von mehr Lebensqualität berichten. Für Betroffene ist es wichtig zu wissen, dass Cannabisarznei auch unangenehme Nebenwirkungen haben kann (z.B. Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit). In vielen anderen medizinischen Bereichen kann man noch wenig über die Wirkung von Cannabisarznei sagen, da es schlicht und einfach zu wenige belastbare Studien gibt.

Wie erleben Sie die aktuelle Debatte rund um Cannabis?

Es findet eine polarisierte Diskussion statt, die oft von Gefühlen, Überzeugungen oder Interessen geprägt ist. Das gilt sowohl für die mediale Debatte als auch für die politische. Vor dem Hintergrund der Legalisierungsdebatte und der Kommerzialisierung von Cannabis wird es den Cannabisforschern teilweise unmöglich gemacht, den Kenntnisstand zu dem Thema voranzutreiben. Der Grund ist, dass sie keine Forschungsmittel dafür bekommen. So kriegt man weder Fakten noch Sachlichkeit in die Debatte, die aber dringend notwendig wären.

Zur Person

Die Psychologin und psychologische Psychotherapeutin PD Dr. Eva Hoch leitet die Forschungsgruppe Cannabinoide am Klinikum der Universität München (LMU).

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