Sind die innerdeutschen Reisebeschränkungen oder das Beherbergungsverbote Ihrer Meinung nach sinnvoll?
Die Überlegung kam sicher daher, dass man Risikogebiete bisher im Ausland ausgewiesen hat und mit dem Vorgehen ganz gute Erfahrungen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens gemacht hat. Allerdings ist die Einreise aus ausländischen Risikogebieten durch die bestehenden Landesgrenzen und Grenzkontrollen praktisch deutlich einfacher zu kontrollieren als innerdeutsche Reisebeschränkungen. Wenn beispielsweise in Großstädten wie in Berlin die Straßenseite darüber entscheidet, ob ein Gebiet Risikogebiet ist oder nicht, ist das sehr schwer umzusetzen und die Regelung nicht praktikabel. Da, wo es jedoch praktikabel ist, ist es sicher sinnvoll, die Reisebeschränkungen auch innerhalb Deutschlands anzuwenden.
Auch an dem starren Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche gibt es teilweise Kritik. Ist die Kritik berechtigt?
Es ist wichtig, dass es Grenzen gibt, die klar gesetzt werden. Aber es kann im Einzelfall dazu führen, dass zwei definierte Gebiete sich vom Infektionsgeschehen kaum unterscheiden, aber unterschiedlichen Maßnahmen angeordnet sind, weil die Grenzwerte nur knapp über- bzw. unterschritten werden. Dazu erscheint es im ländlichen Raum eher sinnvoll, Gemeinden mit Infektionszahlen über dem Grenzwert zu isolieren und so eine überregionale Verbreitung zu stoppen, als in Großstädten, wo die geografische Grenze nicht so klar zu ziehen ist.
Ist der Grenzwert denn wissenschaftlich begründet?
Der Wert von 50 Neuinfektionen wurde nie genau begründet und er ist auch keine Naturkonstante. Nach allem was wir bisher wissen, ist die Überlastung der Krankenhäuser/Intensivstationen bei diesem Wert noch weit entfernt, aber das lokale Gesundheitsamt verliert schon deutlich unter dieser Zahl die Fähigkeit zur Nachverfolgung der Kontakte und die Epidemie ist nicht mehr unter Kontrolle. Ich denke daher, dass es noch wichtiger ist, sich nach den Kapazitäten der lokalen Gesundheitsämter zu richten. Dabei ist auch wichtig zu klären, wie diese 50 Infektionen zustande gekommen sind. Wenn diese bei einem Ausbruch an einem klar benennbaren Ort, wie einem Betrieb oder in einem Altersheim entstanden sind, ist es einfacher diesen Ausbruch zu beschränken ohne Maßnahmen für die Gesamtbevölkerung, als wenn viele verschiedene Ereignisse der Grund für die hohen Infektionszahlen sind.
Worauf sollte jeder Einzelne in der aktuellen Zeit besonders achten?
Ich denke, dass es weiterhin sehr wichtig ist, dass Personen, die sich krank fühlen auch wirklich zu Hause bleiben. Auch wenn es sich oftmals nur um eine Erkältungskrankheit mit ähnlichen Symptomen handelt und in vielen Fällen keine Covid-19-Erkrankung vorliegt. Das wird uns den ganzen Herbst und Winter begleiten. Darüber hinaus ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass gar nicht unbedingt die Großveranstaltungen, sondern vielmehr die kleinen privaten Feiern mit Freunden und Familien für die Verbreitung von Covid-19 besonders problematisch sind. Auch wenn es besonders schwer fällt, wäre hier ein stärkerer individueller Verzicht angebracht. Solange diese Feiern im Sommer draußen stattfanden, war das weniger problematisch, aber in geschlossenen Räumen mit schlechter Luftqualität überträgt sich der Erreger einfach sehr schnell.