Foto: DIW Berlin

„Die Mütter tragen die Hauptlast der zusätzlichen Kinderbetreuung.“

Ein Gespräch mit Dr. Katharina Wrohlich

Die Corona-Pandemie bedeutet für berufstätige Eltern, dass sie Kinder und Beruf in Einklang bringen müssen. Wie gut gelingt das in Deutschland?

Das ist insofern schwer zu beantworten, weil wir erst ganz wenige Daten dazu haben. Es laufen zwar Umfragen, aber richtig wissen, wie sich Familien während der Corona-Pandemie organisiert haben, werden wir erst, wenn wir repräsentative Daten dazu haben. Trotzdem kann man ein paar Dinge auch jetzt schon erkennen. Die allerersten Auswertungen deuten darauf hin, dass Frauen die Hauptlast der Kinderbetreuung übernehmen und dass Frauen in deutlich höherem Maße als Männer ihre Arbeitszeit reduziert oder teilweise auch ganz aufgegeben haben. Was ich aber besonders interessant finde ist, dass die Politik dieses ganze Thema anscheinend überhaupt nicht interessiert. Ich habe so den Eindruck, da wird ein Familienmodell vorausgesetzt, das vor 20 Jahren in Westdeutschland noch gegolten hat.

In einer aktuellen Studie haben auch Sie herausgefunden, dass die Mehrbelastungen in Sachen Kinderbetreuung und Hausarbeit in erster Linie die Mütter treffen. Wie sind Sie zu diesem Ergebnis gekommen?

Da es noch so wenige Ergebnisse von Nachuntersuchungen gibt, haben wir uns Daten und Verhaltensmuster aus der Vor-Corona-Zeit angeschaut. Die Aufteilung der Sorgearbeit, also insbesondere der Kinderbetreuung und Hausarbeit, war alles andere als gleich verteilt zwischen Müttern und Vätern. Auch bei Paaren, in denen beide Elternteile erwerbstätig waren. Selbst sogar bei Paaren, in denen beide Elternteile Vollzeit gearbeitet haben. Natürlich ist klar, man kann diese Erkenntnisse nicht eins zu eins übernehmen, aber mutmaßen kann man schon. Wenn vor der Corona-Pandemie in Paarbeziehungen, in denen beide Elternteile berufstätig waren, Mütter mehr Zeit mit der Kinderbetreuung verbracht haben als Väter, dann ist eher nicht davon auszugehen, dass sich diese Verhaltensmuster jetzt komplett ändern. Das wiederum lässt vermuten, dass die Mütter die Hauptlast der zusätzlichen Kinderbetreuung tragen.

Wenn Frauen aber jetzt in größerem Umfang Arbeitszeit reduzieren oder sogar aufgeben, dann wirkt sich das natürlich später extrem negativ auf ihre zukünftigen Einkommens- und Karriereperspektiven aus.“

Durch Homeoffice-Verordnungen sind Mütter und Väter zu Hause. Müsste das nicht zu einer insgesamt ausgeglichenen Verteilung von Sorgearbeit führen?

Diese Hoffnung stand im Raum. Aber auch hier muss man sagen, Studien, die sich dem Zusammenhang zwischen Homeoffice-Nutzung und Verteilung der Sorgearbeit in Vor-Corona-Zeiten angeschaut haben, zeigen, dass Väter, wenn sie im Homeoffice arbeiten, zwar mehr Sorgearbeit übernehmen als Väter, die gar nicht im Homeoffice arbeiten. Gleichzeitig aber weniger Zeit investieren als Mütter, die im Homeoffice arbeiten. Das heißt, die Aufteilung, wenn beide Elternteile im Homeoffice arbeiten, ist nicht unbedingt ausgewogener. Wie gesagt, man muss sehr vorsichtig sein und kann diese Studien nicht eins zu eins auf die jetzige Situation übertragen. Deswegen steht in unserem Bericht auch sehr oft das Wort „vermuten“.

Inwiefern verstärkt die Corona-Pandemie diese traditionellen Rollenbilder?

In über 50 % aller Familien mit Kindern unter zwölf Jahren ist das Modell der Arbeitszeitaufteilung so, dass der Vater Vollzeit arbeitet und die Mutter Teilzeit. Außerdem verdienen Frauen und vor allem Mütter im Durchschnitt weniger als Männer. Insbesondere wenn sie in Teilzeit arbeiten, weil Teilzeitjobs durchschnittlich niedrigere Löhne zahlen. Wenn die Mutter in dem Fall also Arbeitszeit reduziert, setzt sie weniger aufs Spiel. Weniger Familieneinkommen, aber auch weniger im Sinn von einer Karriere, weil sie mit einem Teilzeitjob karrieretechnisch nicht so viel zu verlieren hat wie jemand, der in einem Vollzeitjob arbeitet. Zu der traditionellen Aufgabenverteilung kommen durch die Corona-Pandemie also pragmatische und ökonomische Gründe dazu, warum es sinnvoller ist, dass die Mütter die Kinderbetreuung in vielen Fällen übernehmen. Wenn Frauen aber jetzt in größerem Umfang Arbeitszeit reduzieren oder sogar aufgeben, dann wirkt sich das natürlich später extrem negativ auf ihre zukünftigen Einkommens- und Karriereperspektiven aus.

Erwerbstätige Eltern brauchen einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduktion für die Kinderbetreuung mit einer staatlichen Lohnersatzleistung.“

Wie könnte die Politik berufstätige Eltern und vor allem berufstätige Mütter unterstützen?

Auch wenn Kitas und Schulen schrittweise wieder öffnen, wird dies erst einmal sehr eingeschränkt passieren. Das ist aus gesundheitspolitischen Gründen richtig, aber man darf nicht glauben, dass sich dadurch das Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Kinderbetreuung löst. Deswegen brauchen erwerbstätige Eltern gleichzeitig einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduktion für die Kinderbetreuung mit einer staatlichen Lohnersatzleistung. Wir haben eine Art Corona-Elterngeld vorgeschlagen. Eine Lohnersatzleistung, die bei Paaren – natürlich nicht bei Alleinerziehenden – unbedingt daran geknüpft sein sollte, dass beide Elternteile die Arbeitszeit reduzieren und sich die Betreuungsarbeit teilen. Der Staat sollte also eine Lenkungswirkung einbauen.

Warum reichen Lohnersatzleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz nicht aus?

Wenn Kitas aus gesundheitlichen Gründen geschlossen sind und man nicht mehr arbeiten kann, existiert in Deutschland eine Lohnersatzleistung nach dem Infektionsschutzgesetz. Das Problem bei der Leistung ist, dass man sie nur maximal sechs Wochen bekommt, was ja jetzt schon vorbei ist (Anmerkung der Redaktion: wurde nach dem Interview auf 20 Wochen verlängert). Außerdem gilt sie nicht für Leute, die die Möglichkeit haben, im Homeoffice zu arbeiten, obwohl sich Homeoffice-Arbeit schwer mit Kinderbetreuung vereinbaren lässt, vor allem nicht über Wochen und Monate. Drittens ist diese Leistung sehr unflexibel und so gestaltet, dass sie nur ein Hop oder Drop kennt. Entweder ich kann nicht arbeiten, weil die Kita geschlossen ist und ich muss komplett zu Hause bleiben oder eben nicht. Aber ich kann nicht sagen, ich reduziere die halbe Arbeitszeit, weil die andere Hälfte mein Partner oder meine Partnerin übernimmt.

„Die Länder, in denen die Berufstätigkeit von Müttern und die Tatsache, dass auch kleine Kinder eine Kita besuchen, schon viel länger selbstverständlicher ist als in Deutschland, haben die Kitas und die Grundschulen auch viel eher wieder geöffnet.“

Können denn überhaupt alle berufstätigen Eltern aus dem Homeoffice arbeiten?

Nein. Theoretisch haben 35 % der Alleinerziehenden die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten und bei 57 % der Eltern in Paarbeziehung hat mindestens ein Elternteil die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Diese Prozentangaben beziehen sich auf Familien mit Kindern bis 12 Jahren. Hier sieht man, dass es einen großen Teil von Familien gibt, für die Homeoffice sowieso nicht funktioniert.

Wie ist denn die Situation von berufstätigen Eltern während der Corona-Pandemie in anderen Ländern – läuft es irgendwo besser? 

Für andere Länder haben wir natürlich auch noch keine repräsentativen Mikrodaten. Was ich aber schon sehr bezeichnend finde ist, welche Länder, welche Prioritäten gesetzt haben. Die Länder, in denen die Berufstätigkeit von Müttern und die Tatsache, dass auch kleine Kinder eine Kita besuchen, schon viel länger selbstverständlicher ist als in Deutschland, haben die Kitas und die Grundschulen auch viel eher wieder geöffnet. Dänemark, Norwegen und Island hatten genauso wie Deutschland sehr harte Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus und auch Dänemark und Norwegen hatten Schulen und Kitas geschlossen, diese aber deutlich früher und mit viel innovativeren Konzepten wieder aufgemacht.

Der Stand von Gleichberechtigung vor der Corona-Pandemie bedingt also das Agieren der Politik während der Krise?

Ja, ich sehe da schon einen Zusammenhang. Ich denke auch, dass deswegen dort für die Politik viel klarer war, dass Kita- und Schulschließungen ein riesen Problem sind und man dieses Problem adressieren muss. Wenn wir Richtung Süden schauen, nach Italien und Spanien, sieht die ganze Situation noch einmal anders aus. Hier ist die Erwerbsbeteiligung von Müttern viel niedriger als in Deutschland und die politischen Maßnahmen während der Corona-Pandemie nehmen weniger Rücksicht auf berufstätige Eltern. In Italien machen Schulen und Kitas erst nach den Sommerferien auf. In Spanien durften Kinder wochenlang nicht auf die Straße, ohne dass es überhaupt Anhaltspunkte gibt, warum jetzt Kinder, wenn sie auf der Straße spazieren gehen, unbedingt so wahnsinnig ansteckend sind.

„Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern am Arbeitsmarkt, hängen nämlich sehr stark mit der Aufteilung von Sorgearbeit zusammen.“

Welche langfristigen Effekte auf das Rollenverhältnis in Familien erhoffen Sie sich als Folge der aktuellen Zeit?

Erhoffen würde ich mir natürlich, dass wir aus der jetzigen Krise lernen, dass Sorgearbeit im außerhäuslichen Bereich systemrelevant ist und besser bezahlt werden muss. Damit meine ich den ganzen medizinischen Bereich, den Pflegebereich, aber beispielsweise auch Reinigungskräfte im Krankenhaus. Also dass die gesellschaftliche Wertschätzung für diese Jobs steigt, die frauendominiert sind, und dass sich das auch in höheren Löhnen ausdrückt. Außerdem würde ich mir wünschen, dass von der Politik und den Vätern wahrgenommen wird, wie viel Arbeit Kinderbetreuung ist und dass es zu einer gleicheren Aufteilung von Sorgearbeit kommt. An diesen Punkt glaube ich aber noch weniger als an die ersten.

Was sind ihre Hauptanliegen, die die Politik, abgesehen von Corona, für mehr Gleichberechtigung zwischen berufstätigen Müttern und Vätern angehen sollte?

Die Aufteilung von Sorgearbeit war auch schon vor der Corona-Pandemie der Punkt, den die Politik adressieren sollte. Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern am Arbeitsmarkt hängen nämlich sehr stark mit der Aufteilung von Sorgearbeit zusammen. Das sieht man schon allein deskriptiv daran, dass der Gender-Pay-Gap für junge Frauen und Männer bis 30 Jahre sehr gering ist und dann exorbitant ansteigt. Genau dann, wenn Kinder geboren werden oder die Teilzeitepisoden für Frauen zunehmen. Konkrete Maßnahmen wie beispielsweise die Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld wären hier nötig. Zweitens sollte auf mehr Diversity in Gremien, die Entscheidungen treffen und Empfehlungen abgeben, geachtet werden. Das Paradebeispiel ist die Zusammensetzung der Leopoldina-Arbeitsgruppe. In dieser Gruppe von 26 Mitgliedern waren nur zwei Frauen, und das Durchschnittsalter war über 60 Jahre. Diese fehlende Diversität spiegelte sich darin wider, dass der Aspekt der Betreuung von Kindern unter 6 Jahren nur am Rande diskutiert wurde. Dabei betreffen Schul- und Kitaschließungen viele Millionen Familien.

 

Mehr zu dem Thema