Foto: Alice Donovan Rouse/Unsplash

Vom Frieden

Was bedeutet eigentlich Frieden für uns und in der Wissenschaft?

Alle Jahre werden zur Weihnachtszeit Friedensbotschaften und Friedenswünsche verkündet – gilt doch das Weihnachtsfest auch als “Fest des Friedens” und die Weihnachtszeit als besonders besinnliche Zeit. Doch was bedeutet überhaupt Frieden? Und wie steht es um den Frieden in der Welt? Diesmal versucht Die Debatte Fragen rund um Frieden und Friedensforschung auf den Grund zu gehen.

Infobox: Weihnachtsfrieden

Im Ersten Weltkrieg kam es 1914 zwischen britischen und deutschen Soldaten an der Westfront zu einer spontanen Waffenruhe, die seitdem als „Weihnachtsfrieden” bekannt ist. Anstatt den bereits Monate andauernden Stellungskrieg fortzuführen, verbrüderten sich die kriegsmüden Soldaten kurzzeitig. Sie hielten einen gemeinsamen Gottesdienst ab und sangen mitten im Krieg an der Front mehrsprachig Weihnachtslieder.

Frieden als Konstrukt ist ähnlich alt wie die Menschengeschichte – ebenso wie auch sein Gegenteil der Krieg. Tatsächlich wird Frieden oft als Abwesenheit von Gewalt und Krieg verstanden. Dabei hat der Friedensbegriff eine viel größere Bedeutungsvielfalt und umfasst weit mehr als die dichotome Unterscheidung in Krieg und Frieden. So gilt der Friedensbegriff nicht nur zwischen Staaten und Gesellschaften, sondern auch nach innen. Harmonie, Seelenruhe und Gelassenheit waren bereits in der griechischen Antike Merkmale für ein friedvolles Miteinander. Frieden also als ein erstrebenswerter Zustand, der in zweierlei Richtungen wirkt.

Auch die wissenschaftliche Definition von Frieden zwischen Staaten hat spätestens in den 1970er Jahren eine entscheidende Wandlung erfahren. Der norwegische Mathematiker und Politologe Johan Galtung, Mitbegründer der Friedens- und Konfliktforschung, sah in der reinen Abwesenheit von Krieg nur einen sogenannten „negativen Frieden”. Dagegen bestünde ein „positiver Frieden” erst mit der Abwesenheit von struktureller Gewalt. „Insofern gibt es neben einem etwas engeren Begriff von Frieden auch noch einen etwas weiteren. Denn der positive Frieden greift auch institutionelle Fragen, soziale Fragen und Fragen, wie eine Gesellschaft friedlich miteinander zusammenleben kann, auf”, sagt Prof. Dr. Ulrich Schneckener vom Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück.

„Friedens- und Konfliktforschung ist selbst keine Disziplin, sondern besteht aus den verschiedensten Disziplinen.”

Prof. Dr. Ulrich Schneckener

Dennoch wurde über lange Zeit in der Wissenschaft der „negative Frieden” als geltende Definition des Friedens betrachtet. Insbesondere, da im Kontext des Kalten Krieges die zentralen Fragen der Friedenserhaltung auf Abrüstung und Verhinderung eines Krieges zwischen der Sowjetunion und den USA abzielten. Inzwischen erlebt die Definition auch in der Friedens- und Konfliktforschung zunehmend eine Erweiterung.

Auch wenn sich die Friedens- und Konfliktforschung ursprünglich aus den Sozialwissenschaften entwickelte, ist sie selbst heutzutage sehr breit gefasst. „Friedens- und Konfliktforschung ist selbst keine Disziplin, sondern besteht aus den verschiedensten Disziplinen”, sagt Schneckener. „Von Politikwissenschaften über Soziologie, Geschichte, Völkerrecht, Philosophie, Psychologie bis hin zu Physik, Chemie, Informatik und Medizin haben die unterschiedlichen Zugänge die Friedenswissenschaft sehr bereichert”, sagt Dr. Corinna Hauswedell, zuletzt tätig an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. in Heidelberg, wo sie auch Mitherausgeberin des jährlichen Friedensgutachtens war. So habe die Physik beispielsweise erst zum Wissen über die Sprengkraft nuklearer Waffen beigetragen und die Medizin wichtige Kenntnisse über die dramatischen Gefahren solcher Waffen geliefert.

„Nicht mehr nur Staaten, sondern auch Gesellschaften und ihre Gruppen sind heute relevante Akteure in der Friedens- und Konfliktforschung.”

Dr. Corinna Hauswedell

Auch die einzelnen Forschungsbereiche der Friedens- und Konfliktforschung sind daher sehr divers: „Das Forschungsfeld hat sich in den letzten 20 Jahren enorm ausdifferenziert, und setzt sich sowohl mit dem internationalen als auch mit dem innergesellschaftlichen Frieden auseinander”, sagt Schneckener. „Es gibt immer bestimmte Konjunkturen, aber auch einen Trend der Veränderung. Waren es in den 1970er Jahren entwicklungspolitische Fragestellungen, gab es in den 1980er Jahren große Ost-West-Debatten, und später standen Themen der internationalen Zusammenarbeit, des UN-Systems und des Peacebuildings im Vordergrund”, so Hauswedell.

Eine bedeutsame  inhaltliche Trendwende sieht sie in der Abkehr von den reinen „Internationalen Beziehungen”, also der politikwissenschaftlichen Teildisziplin, die sich vor allem mit dem Staatensystem auseinandersetzt. „Das ist stark durch den Blick auf innerstaatliche (Gewalt)Konflikte erweitert worden. Nicht mehr nur Staaten, sondern auch Gesellschaften und ihre Gruppen sind heute relevante Akteure in der Friedens- und Konfliktforschung”, sagt Hauswedell. Und so haben auch Ansätze zunehmend Konjunktur, die mehrere Ebenen – also die individuelle, gesellschaftliche und systemische Bedingungen – als Zusammenspiel für anhaltenden Frieden sehen. Dabei betrachtet die Wissenschaft Frieden inzwischen weniger als Zustand, sondern als Prozess und denkt auch über Methoden der Messbarkeit und des Monitoring von Frieden nach.

Nach aktuellen Trends gefragt, beobachtet Schneckener, dass Forschungsarbeiten im Themenbereich Migrations- und Integrationsforschung deutlich zugenommen haben. „Flucht beinhaltet sehr häufig Kontexte von Gewalt und Konflikten und gleichzeitig kommt man bei der Diskussion über Fluchtursachen sehr häufig auf zentrale Fragen der Friedens- und Konfliktforschung.” Die zunehmende Beschäftigung mit Migrations- und Integrationsforschung in der Friedens- und Konfliktforschung erklärt er auch damit, dass die Thematik momentan in Deutschland gesellschaftlich viel diskutiert wird. Die Friedens- und Konfliktforschung fungiert in diesem Sinne also auch als Spiegel gesellschaftlicher Diskussionen – nicht nur zu Weihnachten.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Mehr zu dem Thema