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„Es gibt nicht das eine Erfolgsrezept.“

Ein Gespräch mit Dr. Dana Landau

Sie arbeiten bei der Inclusive Peace & Transition Initiative in Genf. Was ist mit „Inclusive Peace“ eigentlich gemeint?

„Inklusiver Frieden“ bedeutet, dass in einem Friedensprozess eine größere und breitere Gruppe von gesellschaftlichen Akteuren teilhat. Das ist ein Trend, den wir auch bei Friedensverhandlungen beobachten. Klassischerweise stellt man sich diese Verhandlungen so vor, dass diejenigen mit am Tisch sitzen, die die Waffen haben. Bei Bürgerkriegen beispielsweise der Staat selbst, die Armeen, die Guerillagruppen und die Opposition. Die Idee von einem „inklusiven Frieden“ ist, dass alle Stakeholder, also alle die von einer Entscheidung betroffen sind, ihre Präferenzen einfließen lassen können. Das wären dann auch zivilgesellschaftliche Gruppen, wie kleinere Minderheiten, religiöse Gruppierungen oder Gewerkschaften. Manchmal sind auch spezielle Expertengruppen involviert. Sie können meist etwas zum Friedensprozess beitragen, was die bewaffneten Gruppen selbst nicht verhandeln können. Oft wird auch übersehen, dass in einem klassischen Fall einer Friedensverhandlung meist nur Männer beteiligt sind. Frauen machen über 50 Prozent der Gesellschaft aus, daher ist es auch wichtig, dass diese Gruppe teilhat.

In unserer Forschung konzentrieren wir uns aber nicht nur darauf, den eigentlichen Verhandlungstisch auszuweiten. Das wäre nur eine Methode. Es gibt noch andere Modalitäten, durch die die breite Bevölkerung einbezogen werden kann. Das sind zum Beispiel Konsultationen mit der Bevölkerung. Man kann themenspezifische Kommissionen gründen und diese Kommissionen leben oft auch dann noch weiter, wenn ein Friedensvertrag bereits abgeschlossen ist. Und man kann die Umsetzung des Abkommens überwachen und diese Überwachung auch überprüfen. Bei der Überprüfung sind zivilgesellschaftliche Gruppen sehr wichtig, weil sie oft unabhängigere Quellen sind als die Regierung selbst.

„Man kann diejenigen, die die staatliche Macht und den Zugang zu den Waffen haben, nicht ignorieren.“

Wie gut funktioniert Ihr Ansatz in der Praxis?

Viele internationale Akteure wie die UNO oder die EU, verschiedene Organisationen und Mediationsexperten stehen hinter der Idee. Wenn es aber um die harten Verhandlungen geht, wird dieses rhetorische Bekenntnis dann doch oft zweitrangig, denn sie denken: „Als erstes müssen wir einen Waffenstillstand erreichen und dabei müssen nicht diese und jene mitreden“. Die Frage von Effizienz steht da vis-à-vis mit dem idealen Prozess. Tatsächlich ist ein gewisser Prozess schon da, aber ob dieser wirklich so umgesetzt wird, dass die eingeladenen zivilgesellschaftlichen Akteure Einfluss auf die Friedensverhandlungen haben können, ist oft fraglich.

Es wird viel dazu geforscht und man weiß, dass es eine Kombination von sogenannten „Elite Deals“ mit einer breiteren Absicherung der Gesellschaft braucht. Man kann diejenigen, die die staatliche Macht und den Zugang zu den Waffen haben, nicht ignorieren. Genauso hat man aber auch gesehen, dass es zu Widerstand führen kann und sich neue Konfliktgruppen bilden können, wenn die Bevölkerung das Gefühl bekommt, dass über ihre Köpfe hinweg verhandelt wird. Ein gutes Beispiel dafür wäre Kolumbien im vergangenen Jahr, wo es nach dem Schluss des Friedensabkommens ein Referendum darüber gab. Die Bevölkerung hat zwar knapp, aber doch mehrheitlich mit „Nein“ gestimmt, das scheint erst einmal kontraintuitiv. Was aber gefehlt hat in Kolumbien, war eine Kommunikationsstrategie mit der Bevölkerung. Es gab ein mangelndes Verständnis über den Inhalt des Abkommens, das vier Jahre lang in Kuba verhandelt wurde, und viele Kolumbianer fühlten sich damit nicht verbunden. Zusätzlich hatte die Opposition eine sehr starke PR-Kampagne. Die Wissenschaft hätte eigentlich wissen können, dass die Verhandlungsparteien von Anfang an mehr hätten investieren müssen, um die Öffentlichkeit einzubeziehen und zu informieren.

„Inzwischen haben wir schon das Wissen und die Erfahrungen, um herauszufinden: Wer muss mit am Tisch sitzen? Welche Risikofaktoren gibt es?“

Kann „inklusiver Frieden“ auch zur Konfliktprävention beitragen?

Natürlich, das haben wir in verschiedenen Fällen beobachtet. Wir haben kürzlich einen Bericht herausgegeben, in dem wir 17 verschiedene Nationale Dialoge studiert haben. Ein Nationaler Dialog ist ein Prozess, der bewusst inklusiv gestaltet ist und bei dem verschiedene Gruppen repräsentiert werden. Es können zwischen ein paar hundert und ein paar tausend Menschen sein, die an einer solchen Verhandlung teilnehmen. Meistens geht es um fundamentale Reformen in einem Staat. Die Eliten müssen sich dabei genug repräsentiert fühlen, dass sie überhaupt bereit sind, Entscheidungen mit der breiteren Bevölkerung zu teilen. Das kann dazu führen, dass man ohne Gewalt zu einer Lösung kommt. Es gibt viele erfolgreiche Beispiele wie der Nationale Dialog 1990 in Benin. Aber es gibt auch Fälle, in denen es nicht geklappt hat. Zum Beispiel, wenn regionale Akteure oder die Bevölkerung selbst den Prozess nicht unterstützen, oder wenn der Nationale Dialog für grundlegende Konfliktursachen keinen Kompromiss findet.

Im Jemen gab es beispielsweise von 2013 bis 2014 nach dem Arabischen Frühling einen Nationalen Dialog. Der Prozess wurde von der UNO unterstützt und es ging darum, eine neue Verfassung zu schreiben. Der Dialog war sehr inklusiv, es gab auch eine Frauenquote und regionale Quoten, sämtliche Konfliktlinien wurden bei der Planung in Betracht gezogen. Das war eigentlich sehr vielversprechend. Und dennoch ist danach massiv Gewalt ausgebrochen. Ein Grund dafür war unter anderem, dass der Prozess sehr lange gedauert hat und die Bevölkerung immer mehr desillusioniert wurde. Zur Desillusionierung trug auch die Korruption der vorübergehend eingesetzten Regierung bei, die in den Augen vieler Bürger und Bürgerinnen nicht schnell genug sichtbare Veränderungen vom vorherigen Regime brachte. Der Nationale Dialog konnte sich zwar auf vieles einigen, dennoch eskalierte der Bürgerkrieg erneut, bevor ein Referendum über die ausgehandelte Verfassung gehalten werden konnte. Und da spielen nun auch regionale und internationale Akteure eine wichtige Rolle, denn der Bürgerkrieg verwandelte sich in einen regionalen Stellvertreterkrieg.

Hätte man das vermeiden können?

Das  Problem bei der Friedensforschung ist, dass man eigentlich nie Prävention per se beweisen kann. Man kann schlecht sagen was passiert wäre, wenn man versucht hätte dies und jenes zu machen. Inzwischen haben wir schon das Wissen und die Erfahrungen, um herauszufinden: Wer muss mit am Tisch sitzen? Welche Risikofaktoren gibt es? Wo könnte noch sabotiert oder interveniert werden? Das ist immer ein Zusammenspiel der Realpolitik, auch auf internationaler Ebene, und dem lokalen Verständnis der Gesellschaft, die diesen Frieden ja tragen muss.

„Man muss die verallgemeinerbaren Schlussfolgerungen in jedem einzelnen Fall kontextspezifisch anwenden.“

Sind Sie mit Ihrer Forschung auf dem Weg, ein Patentrezept für den Frieden zu entwickeln?

Man kann sagen, dass wir das zumindest versuchen. Sozialwissenschaft ist nicht dasselbe wie Naturwissenschaft, wo man alles berechnen kann. Vieles kann man aus vergleichender Forschung lernen. Aber man muss die verallgemeinerbaren Schlussfolgerungen in jedem einzelnen Fall kontextspezifisch anwenden.

Wenn wir angefragt werden in einem Prozess mitzuhelfen oder eine Regierung oder Institution zu beraten, sagen wir ihnen, dass wir nicht Experten zu dem betreffenden Land sein müssen, sondern nur die Basics verstehen müssen. Wir unterstützen dann dabei, auf andere Konflikte zurückzublicken und Lehren aus anderen Prozessen, die vergleichbare Bedingungen hatten, zu ziehen. Dadurch lässt sich viel über wichtige internationale Akteure und über die Bedeutung der Unterstützung durch die breite Öffentlichkeit lernen und verallgemeinern. Daraus kann man schon ein wissenschaftliches Patent bilden. Es gibt in dem Sinne nicht ein Erfolgsrezept, das man überall anwenden kann. Aber es sind oft ähnliche Faktoren, die mit hineinspielen und die wichtig sind.

Zur Person

Dr. Dana Landau ist Research Coordinator bei der Inclusive Peace & Transition Initiative in Genf. Das Institut betreibt nicht nur Forschung zu Friedensprozessen, sondern berät unter anderem auch Regierungen, internationale Organisationen wie die UNO und NGOs.

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