Wird dieses Debatte bereits ausreichend geführt?
Nein, bisher nicht. Zumindest ist dies die Beobachtung des Ethikrates. Obwohl das Thema sehr relevant ist, ist es noch nicht in der Bevölkerung angekommen, was durchaus besorgniserregend ist, da die Technologie weitreichende Folgen haben könnte. Ich glaube der Grund ist, dass die Thematik naturwissenschaftlich, aber auch in der Einschätzung der technischen wie sozialen Risiken sehr komplex ist. Man muss die Hintergründe erst verstehen, wenn man sich ein Urteil bilden will. Die Komplexität erschwert es, den unmittelbaren Nutzen, aber auch die unmittelbaren Risiken abzuschätzen beziehungsweise zu erkennen. Die Bewertung fällt uns dadurch logischerweise schwerer. Entsprechend ist das Thema aktuell nicht so präsent, obwohl es in den Medien, sogar in den Leitmedien (sofern man den Begriff noch benutzen will), immer wieder einmal aufgegriffen wird, aber noch ist es in der Mitte der Gesellschaft nicht richtig angekommen. Vielleicht ändert es sich, wenn es erste richtige Erfolgsnachrichten gibt oder eben auch die ersten echten negativen Schlagzeilen. Wir sollten aber auf jeden Fall daran arbeiten, den Dialog schon jetzt in Gang zu setzen, damit es hinterher nicht um die Bewertung von Horrorszenarien geht. Jetzt ist genau die Zeit für eine ernsthafte Debatte, bevor die Wissenschaft Fakten gesetzt oder unrealistische Schreckensszenarien sich ins kulturelle Gedächtnis eingenistet haben.
Braucht die Wissenschaft Regularien für die Technologie?
Ja unbedingt. Es geht dabei aber darum, Regeln zu schaffen, die einerseits die Forschung nicht so sehr einschränken, dass die positiven Effekte der Technologie nicht mehr genutzt werden können, andererseits müssen aber unverantwortbare Schadensfälle möglichst verhindert werden und drittens muss die demokratische Einbettung solcher Regelsetzung bedacht werden – im Sprech der Europäischen Union heißt das Ganze dann „responsible research and innovation“. Ohne hier jetzt schon einen Generalschlüssel zu haben, konnte ich am Ende der Tagung des Deutschen Ethikrates zu Gene Drive, der neuen Methode der Turbovererbung, doch ein Bündel an Maßnahmen festhalten: Es sollte ein multidimensionaler Ansatz, unterschieden nach Eingriffstiefe einer Technologie in Umwelt und soziales Miteinander, möglichst in Kombination aus Selbstverpflichtung der Forschenden und Regelung auf möglichst hoher internationaler Ebene geschaffen werden. Transparenz und damit auch nötige Dokumentation sind wichtig.
Inhaltlich sind alle solche Verfahren zu bevorzugen, die Korrektur- und Rückholmöglichkeiten implizieren. Die Beteiligung der Öffentlichkeit als Aushandlungs- und gegebenenfalls auch Mitentscheidungsraum ist zu bedenken. Im Übrigen kann man diese wahnsinnig spannenden Debatten zum Gene-Drive auf unserer Homepage www.ethikrat.org nachhören wie auch die Präsentationen der Referenten einsehen.
Wenn wir in die Richtung der skizzierten Maßnahmen gehen, dann kann ein Vertrauensaufbau möglich werden. Der ist nötig, weil wegen der Komplexität des Themas viele Menschen gar nicht mehr darauf schauen, ob sie eine Technik oder lebenswissenschaftliche Methode mit allen möglichen Konsequenzen, die ihre Etablierung mit sich bringt, begreifen. Vielmehr schauen sehr viele Menschen, ob die Institutionen, also Universitäten, Genehmigungsbehörden oder Unternehmen, überhaupt vertrauenswürdig erscheinen. Solches Institutionenvertrauen ist neben der Risikobeurteilung ein entscheidender Schritt, wenn nicht sogar der entscheidende Schritt, ob die Möglichkeiten der Genschere genutzt werden oder nicht.