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„Niemand geht strahlenfrei durchs Leben“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Werner Rühm

Womit beschäftigen sich Strahlenschützer*innen?

Unser primäres Ziel ist es, der Bevölkerung zu helfen, eine auf wissenschaftlichen Informationen beruhende Entscheidung über die Chancen und Risiken der Anwendung von Strahlung zu treffen. Strahlung kann für den Menschen gefährlich sein, aber es gibt auch positive Anwendungen von Strahlung, z.B. in der medizinischen Diagnostik. Im Strahlenschutz bewegt man sich immer in diesem Spannungsfeld zwischen positiven Anwendungen und den damit verbundenen Risiken. Wir versuchen, mit wissenschaftlichen Methoden das Strahlenrisiko zu bestimmen. Wie das Risiko bewertet wird und welche Konsequenzen daraus gezogen werden, ist dann eine persönliche beziehungsweise eine gesellschaftliche Entscheidung.

Welche Risiken gibt es denn?

Um das Risiko zu bestimmen, muss man zwischen verschiedenen Strahlungsarten unterscheiden. Wir unterscheiden zwischen ionisierender und nichtionisierender Strahlung. Handy- oder Wärmestrahlung beispielsweise sind auch Strahlungen, aber sie sind nicht in der Lage zu ionisieren, sprich chemische Bindungen im Körper aufzubrechen. Die ionisierende Strahlung, zu der Röntgenstrahlung und Gammastrahlung zählen, kann dagegen eben dies und ist deshalb potenziell gefährlich für den menschlichen Körper, da derartige Brüche dazu führen können, dass Zellen absterben oder sich langfristig zu Krebszellen entwickeln. 

Die Studie, aus der wir sicherlich am meisten gelernt haben, ist die Studie an den Überlebenden aus Hiroshima und Nagasaki. Aus dieser Studie haben wir beispielsweise gelernt, dass ionisierende Strahlung im Menschen zu Krebserkrankungen führen kann und dass das strahleninduzierte Risiko dafür noch Jahrzehnte nach einer Bestrahlung erhöht ist.

Wie untersucht man die Auswirkungen, die Strahlung haben kann?

Es gibt natürlich unterschiedliche Ansätze – von epidemiologischen Studien an Menschen über Untersuchungen im Tiermodell bis hin zur Bestrahlung von einzelnen Zellen. Die Studie, aus der wir sicherlich am meisten gelernt haben, ist die Studie an den Überlebenden aus Hiroshima und Nagasaki. Aus dieser Studie haben wir beispielsweise gelernt, dass ionisierende Strahlung im Menschen zu Krebserkrankungen führen kann und dass das strahleninduzierte Risiko dafür noch Jahrzehnte nach einer Bestrahlung erhöht ist. Vorher wusste man lediglich, dass es zu Strahlenschädigungen am Gewebe kommen kann, wenn die Dosis sehr hoch ist. Für derartige Gewebeschädigungen gibt es sogenannte Dosisschwellen. Dies bedeutet, dass die Strahlung also nur dann schädlich ist, wenn Menschen einer Dosis oberhalb der Dosisschwelle ausgesetzt sind. Unterhalb dieser Dosisschwelle treten derartige Schäden nicht auf. 

Dies ist vermutlich anders bei den sogenannten stochastischen Schäden. Dazu zählen wir beispielsweise Krebs und Leukämie. Das sind Erkrankungen, die auf Veränderungen im Erbgut der Zelle basieren und hierüber wissen wir immer noch zu wenig. Dies liegt daran, weil es extrem schwer ist, in epidemiologischen Studien zur Krebsentstehung am Menschen insbesondere bei kleinen Strahlendosen signifikante statistische Aussagen zu treffen. Allein schon deshalb, weil wir kaum Stichproben haben, die groß genug sind. Deshalb ist es so schwierig, pauschal zu sagen, ob ionisierende Strahlung bei kleinen Strahlendosen gefährlich ist und vor allem ab welcher Dosis derartige Schäden auftreten. Im Strahlenschutz gehen wir sicherheitshalber davon aus, dass auch kleine Strahlendosen derartige Schäden erzeugen können, dann jedoch auch nur mit kleiner Wahrscheinlichkeit.

„Im Strahlenschutz nehmen wir Stand heute an, dass zwar die Wahrscheinlichkeit für stochastische Schäden durch ionisierende Strahlung mit fallender Dosis abnimmt, sie aber nie bei Null liegt.“

Von welchen positiven Auswirkungen weiß man denn?

Bei kleinen Dosen wird manchmal argumentiert, dass durch Strahlung das Immunsystem stimuliert werden könnte. Außerdem gibt es Hinweise auf eine geringere Empfindlichkeit von Zellen gegenüber hohen Strahlendosen nach einer Vorbestrahlung mit niedrigen Dosen. 

Über derartige Effekte wird vielfach diskutiert, zumal es auch Studien gibt, die gegenteilige Ergebnisse liefern und von deutlich höheren Zellempfindlichkeiten berichten. Ob derartige Phänomene für die strahleninduzierte Krebsentstehung beim Menschen eine Rolle spielen, wissen wir nicht. Im Strahlenschutz nehmen wir Stand heute aber an, dass zwar die Wahrscheinlichkeit für stochastische Schäden durch ionisierende Strahlung mit fallender Dosis abnimmt, sie aber nie bei Null liegt. Finale Belege haben wir für die Annahme nicht, wie gesagt, man geht hier auch ein wenig auf Nummer sicher. 

„Im Hinblick auf den Strahlenschutz soll bei Endlagern sichergestellt werden, dass selbst in einer Million Jahre zusätzlich nicht mehr als 10 Mikrosievert Strahlendosis pro Jahr entstehen.“

Derzeit sucht Deutschland ein Endlager für den Atommüll. Inwiefern spielt dabei der Strahlenschutz eine Rolle?

Ganz aktuell wurden ja jetzt zunächst einmal Orte definiert, die aus geologischer Sicht in Frage kommen. Da geht es um Gesteinsarten und andere geologische Gegebenheiten von Regionen. Im Hinblick auf den Strahlenschutz soll bei Endlagern sichergestellt werden, dass selbst in einer Million Jahre zusätzlich nicht mehr als 10 Mikrosievert Strahlendosis pro Jahr entstehen.

Was genau bedeutet das?

Die 10 Mikrosievert im Jahr bedeuten, dass sichergestellt werden muss, dass Menschen, die in der Region leben, durch ein Endlager nicht mehr als diese Strahlendosis zusätzlich im Jahr abbekommen. 

Um dies einordnen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass es auch natürliche Strahlung gibt und niemand strahlenfrei durchs Leben geht. In Deutschland liegt im Mittel die Strahlendosis aus natürlichen Quellen bei etwa 2000 Mikrosievert im Jahr. Hinzu kommen in Deutschland nochmal etwa 2000 Mikrosievert im Jahr aus medizinischen Anwendungen hinzu. Das sind natürlich Mittelwerte über die gesamte Bevölkerung. Pro Jahr haben wir also eine Strahlendosis von ca. 4000 Mikrosievert. Menschen, die in der Nähe eines Endlagers wohnen, sollen maximal eine zusätzliche Dosis von 10 Mikrosievert im Jahr erfahren. Ob man dieses Risiko für zu hoch hält oder nicht, bleibt aber jedem selbst überlassen. Wir ermöglichen hier lediglich, dass Menschen die Entscheidung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse treffen können. 

„Ich würde mir wünschen, dass die Debatte auch in der Öffentlichkeit evidenzbasierter und weniger polarisiert abläuft.“ 

Was würden Sie sich für die Diskussionen rund um den Strahlenschutz wünschen?

Wir basieren unsere Empfehlungen immer auf wissenschaftliche Evidenz und versuchen dabei möglichst alle wissenschaftlich belastbaren Studien, die es gibt, einzubeziehen. In der öffentlichen Debatte werden hingegen häufig nur einzelne oder einige wenige Studien herangezogen, die vielleicht besser zu einer bestimmten Meinung passen. Hier würde ich mir wünschen, dass die Debatte auch in der Öffentlichkeit evidenzbasierter und weniger polarisiert abläuft. 

 

Zur Person

Prof. Dr. Werner Rühm vom Institut für Strahlenmedizin am Helmholtz Zentrum München ist Vorsitzender der deutschen Strahlenschutzkommission (SKK). Er ist außerdem ein von Bundesrat und Bundestag gewähltes Mitglied des Nationalen Begleitgremiums, dessen Ziel es ist, die Endlagersuche für hochradioaktive Abfälle vermittelnd zu begleiten.

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