Der Schulalltag bietet jedoch für besonders begabte Kinder oft nicht genügend Anreize. „Sie langweilen sich häufig und müssen warten. Das ist nicht nur persönlich frustrierend, sondern auch für die Gesellschaft wenig nützlich, wenn man ihnen keine entsprechenden Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung bietet”, sagt Prof. Dr. Christian Fischer vom Internationalen Centrum für Begabungsforschung in Münster. „Eigentlich sollte jedes Kind die Möglichkeit haben, die individuellen Potenziale weiterzuentwickeln – unabhängig davon, ob sie besondere Unterstützung oder besondere Herausforderungen brauchen. Das ist in Deutschland noch nicht immer der Fall.“ In den internationalen Schulstudien IGLU und TIMSS, die in den vergangenen Jahren an deutschen Grundschulen durchgeführt wurden, zeigte sich, dass es zwar Unterstützungsangebote für schwächere Schüler gebe, leistungsstarke Schüler aber oft nicht in ihren Fähigkeiten entsprechend gefördert würden.
In den meisten Landesschulgesetzen ist mittlerweile das „Recht auf individuelle Förderung” formuliert, gedacht in beide Richtungen: sowohl für Schüler mit Unterstützungsbedarf als auch für Schüler, die besondere Herausforderungen im Lernalltag benötigen. In der Praxis scheitert die individuelle Förderung aber oft am System. Für Erzieher und Lehrer stellt sie eine riesige Herausforderung dar, da sie sich in der Regel um eine große und heterogene Gruppe kümmern müssen. „Häufig bekommen begabte Kinder Extraaufgaben. Aber einfach nur mehr als andere zu machen, ist kein besonderer Anreiz für sie. Oder es wird versucht, sie zu Hilfserziehern zu machen. Das ist zwar eine Zeit lang spannend und sie lernen viel dabei, aber irgendwann ist auch das langweilig“, sagt Dagmar Bergs-Winkels.
In einigen Bundesländern gibt es aus diesem Grund bereits spezielle Hochbegabtenklassen oder Schulen, in die ausschließlich Hochbegabte gehen dürfen. Christian Fischer findet es jedoch aus pädagogischer Sicht besser, möglichst eine Schule für alle zu realisieren: „Mit entsprechenden Konzepten von innerer Differenzierung und entsprechenden Aufgabenformaten kann hier viel erreicht werden. Zudem können leistungsschwächere Schüler von leistungsstarken eine kognitive Aktivierung erfahren.” Der Erziehungswissenschaftler plädiert zusätzlich für Maßnahmen der äußeren Differenzierung in Form von „Pull-out-Programmen“ wie etwa dem „Drehtür-Modell“, das bereits in einigen Grundschulen und in der Mittelstufe weiterführender Schulen in Nordrhein-Westfalen umgesetzt wird. Hierfür werden Kinder für eine bestimmte Zeit aus der Klasse herausgenommen, um beispielsweise Projektarbeiten zu realisieren. Dabei arbeiten sie mit Hilfe von Lernstrategien intensiv an einem Thema ihrer Wahl und haben zusätzlich die Herausforderung, in der Klasse später den regulären Lernstoff nachzuholen.