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„Es braucht eine neutrale Aufklärung und sachliche Informationen.“

Im Gespräch mit Dr. Marion Janke

Wer klärt Schwangere über Pränataldiagnostik auf?

Hier müssen wir zwei Perspektiven unterscheiden: die der niedergelassenen Ärzt*innen und der Beratungsstellen. Die niedergelassenen Ärzt*innen sind verpflichtet über Pränataldiagnostik aufzuklären – dafür gibt es eine sogenannte Versicherteninformation, die sehr umfangreich ist. Vor allem wenn Ärzt*innen nicht invasive Pränataltests anbieten, müssen sie auch darüber informieren. Dazu zählt: Was kann der Test leisten? Was für ein Ergebnis kann rauskommen? Welche Aussagekraft hat ein solches Ergebnis?

Und welche Rolle übernehmen Sie in einer Beratungsstelle von profamilia? 

Im Fokus bei uns ist nicht die Medizin, die Technik oder das erwartete Kind, sondern die schwangere Person, die Familie, das Paar. Wir beschäftigen uns mit der Motivation, den Ängsten und Befürchtungen sowie ethischen Herausforderungen rund um Pränataldiagnostik – das braucht Zeit. In der Frühschwangerschaft gibt es eine riesige Liste an Dingen, die Ärzt*innen per Gesetz mit den Schwangeren besprechen müssen: Infektionskrankheiten, Impfungen, Risiken in vorherigen Schwangerschaften, und viele mehr. Da fehlt häufig die Zeit ausführlich auf Pränataldiagnostik einzugehen. Dazu kommt, dass vorgeburtliche Untersuchungen komplex und schwierig zu verstehen sind. Manche Schwangeren tun sich schwer die Aufklärungsbögen zu verstehen oder haben Sprachschwierigkeiten. Einen komplexen Inhalt wie Pränataldiagnostik so zu vermitteln, dass die schwangere Person wirklich versteht worum es da geht – das dauert. 

Ab dem 1. Juli 2022 werden nicht invasive Pränataltests (NIPT) von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Erwarten Sie dadurch einen größeren Aufklärungsbedarf?

Ich erwarte mehr Unsicherheit bei den Schwangeren, sowohl ob man den Test durchführen möchte, wie auch bei einem Ergebnis. Das liegt auch daran, dass die Indikation für den Test – also der Grund wann man ihn durchführt – sehr schwammig ist. Auf der einen Seite bekommen Schwangere die Kosten übernommen, wenn es einen Vorbefund oder Risiko gibt. Andererseits kann sich die schwangere Person auch im Einvernehmen mit der*die Ärzt*in für einen Test entscheiden, beispielsweise wenn große Ängste vorhanden sind. Da gibt es einen großen Interpretationsspielraum. Deshalb ist eine Aufklärung umso wichtiger. Auch die niedergelassenen Gynäkolog*innen müssen dafür erstmal ausführlich über NIPT aufgeklärt werden. Dazu sind Fortbildung mit praktischen Tipps zur Beratung geplant. Die niedergelassenen Ärzt*innen sollen sensibilisiert werden, wie sie sorgfältig mit NIPT und der Indikation für den Test umgehen können.

„Generell sind es sehr wenige die eine zusätzliche psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen.“

Wie kommt es zu einer psychosozialen Beratung bei einem positiven Befund?

Wenn Ärzt*innen das Ergebnis übermitteln, sind sie gesetzlich verpflichtet auf die ergänzende psychosoziale Beratung hinzuweisen. Teilweise gibt es Ärzt*innen die sehr umfangreich beraten und sich dafür extra Zeit nehmen. Vielen Schwangeren reicht die ärztliche Auskunft und sie fühlen sich in der Lage mit Unterstützung des sozialen Umfeldes auch ohne psychosoziale Beratung eine Entscheidung zu treffen. Generell sind es sehr wenige die eine zusätzliche psychosoziale Beratung in Anspruch nehmen. 

Woran liegt das?

Das ganze Verfahren der Pränataldiagnostik, vor allem dann wenn ein Befund oder eine Diagnose vorliegt, hat eine starke Eigendynamik. Auf eine Untersuchung folgt gleich die nächste. Das ist bei NIPT auch so: Bei positivem Befund kommt die invasive Pränataldiagnostik auf einen zu. Wenn sich das Ergebnis bestätigt, gibt es ein Gespräch beim Pränataldiagnostiker oder Genetiker. Das bedeutet sehr viele Termine. Die gesamte Situation ist extrem belastend. Und dann noch zusätzlich eine psychosoziale Beratung – ein weiterer Termin – das machen viele nicht mehr. Ein weiterer Grund: In vielen Regionen funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Medizin und Beratung nicht gut – es gibt wenige Schnittstellen. Da Ärzt*innen und Berater*innen jeweils mit anderem Fokus arbeiten, müsste das Verständnis für die Arbeit des anderen gefördert werden. Schwangere können letztlich durch die Zusammenarbeit und den jeweils anderen Blick profitieren. 

Was sind die zentralen Themen und Sorgen bei einem positiven Befund?

Wenn ein auffälliger Befund festgestellt wurde, sind die Betroffenen erstmal im Schock – man wird von Sorgen, Ängsten und Verzweiflung mitgerissen. Das dauert auch ein paar Tage bis man sich vernünftig mit einer Entscheidung befassen kann. Daher wäre es sinnvoll sich gesamtgesellschaftlich früher mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch und Pränataldiagnostik zu befassen. Damit man sich nicht erst in der Frühschwangerschaft unter Zeitdruck entscheiden muss. Vorher die Argumente abzuwägen, erleichtert die Entscheidung in einer so sensiblen Phase. 

In der Regel gibt es keine Therapie, sondern nur zwei Optionen: Das Kind zu bekommen oder die Schwangerschaft abzubrechen.

Wenn es dann zur Beratung kommt, beschäftigen wir uns zuerst mit der Prognose des ungeborenen Kindes und was das konkret bedeutet. Selbst eine Diagnose wie Trisomie 21 kann ganz unterschiedliche aussehen – auch wenn viele denken, dass sie wissen was das ist. Nach einer pränatalen Diagnose, weiß man noch lange nicht wie sich das Kind entwickelt. Die Schwangere muss eine weitreichende Entscheidung auf einer eher unsicheren Datenlage treffen. In der Beratung sprechen wir deshalb viel über die Bilder und Assoziationen, die mit Behinderung einhergehen. Die meisten Menschen haben wenig konkrete Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung. Welche Ressourcen haben die Schwangeren und unterstützt sie ihr Umfeld? Und zuletzt: Wie denken sie über einen Schwangerschaftsabbruch? Wichtig sind Informationen darüber, was ein Schwangerschaftsabbruch je nach Schwangerschaftsstadium genau bedeutet. Zuletzt unterstützen wir die Schwangeren bei ihrer Entscheidung, egal wie sie ausfällt. In der Regel gibt es keine Therapie, sondern nur zwei Optionen: Das Kind zu bekommen oder die Schwangerschaft abzubrechen. 

NIPT können sehr früh in der Schwangerschaft durchgeführt werden. Erwarten Sie dadurch mehr Schwangerschaftsabbrüche? 

Ich erwarte vor allem mehr Verunsicherung sowie Beratungs- und Informationsbedarf. Mehr Abbrüche erwarte ich nicht. Es wird bestimmt Einzelfälle geben, in denen Schwangere einen Schwangerschaftsabbruch in Betracht ziehen, bevor der Befund durch invasive Diagnostik bestätigt wurde. Gerade weil der Test ab der 10. Woche durchgeführt werden kann und bis zur 12. Woche keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nötig ist. Deshalb wird die Beratung umso wichtiger: Ärzt*innen müssen ausführlich über den Test informieren, vor allem darüber wann er überhaupt Sinn macht. Bei jüngeren Frauen kommt es häufiger zu einem falsch-positiven Ergebnis – der Befund ist positiv aber der Fetus hat eigentlich keine Trisomie. Berater*innen sollten die schwangere Person bei einem positiven Befund erstmal stabilisieren und bestärken eine Diagnostik abzuwarten. 

„Die breite Öffentlichkeit ist nicht gut informiert.“

Welche Aspekte kommen Ihnen in der politischen und öffentlichen Diskussion zu Pränataldiagnostik zu kurz?

Die Wissenschaft und Medizin schreiten schneller voran als die gesellschaftliche Debatte hinterherkommt. Sie kommt immer etwas verspätet. Bei NIPT genauso: Es ist längst erforscht, jetzt haben wir sogar eine Krankenkassenfinanzierung. Aber auf der breiten Basis wurde es gesellschaftlich noch nicht diskutiert – bisher nur in einschlägigen Gremien, wie Behindertenverbänden, unter Fachärzt*innen und in der Beratungslandschaft. Die breite Öffentlichkeit ist nicht gut informiert. Es gibt Werbung von Testanbieter*innen. Teilweise klären Behindertenverbände wertend darüber auf. Es braucht aber eine neutrale Aufklärung und sachliche Informationen. Natürlich ist es eine sehr ethische Diskussion. Diese würde ich mir aber stärker öffentlich wünschen. Und auch in einem Rahmen, dass alle Menschen folgen können – nicht nur eine intellektuelle Elite, die mit dem Thema vertraut ist.

 

Zur Person

Dr. Marion Janke ist Ärztin, Verhaltenstherapeutin und Geschäftsführerin bei pro familia Stuttgart. Zudem ist sie Leiterin der Informations- und Vernetzungsstelle Pränataldiagnostik Stuttgart.

Foto: Dr. Marion Janke / pro familia Stuttgart

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