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Nicht nur die Hitze wird uns zu schaffen machen

Die indirekten Gesundheitsfolgen des Klimawandels

Deutschland gehört mal wieder zu den internationalen Spitzenreitern – dieses Mal bei den Hitzetoten. In der aktuellen Lancet-Studie zu Klimawandel und Gesundheit ermittelten die Wissenschaftler*innen für das Jahr 2018 in Deutschland etwa 20.200 Todesfälle bei über 65-jährigen, die im Zusammenhang mit Hitze standen. Nur China und Indien, beide mit Einwohnerzahlen von etwa 1,4 Milliarden Menschen, hatten mehr Hitzetote zu beklagen. Die geschätzten monetären Kosten für Deutschland sind vergleichbar mit dem Durchschnittseinkommen von 1,9 Millionen Bürgern – von den persönlichen Schicksalsschlägen erst gar nicht zu sprechen.

Ein wichtiger Grund für die hohen Todesfälle ist die immer älter werdende Bevölkerung, die aufgrund von Vorerkrankungen besonders von der extremen Hitze bedroht ist. Insbesondere Stadtbewohner*innen können der Hitze kaum noch entkommen. In der Stadt können Hitzewellen mitunter 10 Grad wärmer ausfallen als auf dem Land. Die andere Ursache ist die steigende Anzahl und Intensität von Hitzewellen, die eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Mehr Hitzetote sind jedoch nur eine von vielen Gefährdungen, mit denen der Klimawandel unsere Gesundheit bedroht.

„Die Erderwärmung spielt gerade im Bereich der Pollen eine zentrale Rolle.“

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Universität Augsburg und Helmholtz Zentrum München

So prognostiziert Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Umweltmedizinerin an der Universität Augsburg und am Helmholtz Zentrum München, dass neben direkten Gesundheitsschäden durch Hitzeeinwirkung auch Atemwegserkrankungen, Infektionskrankheiten, und psychische Erkrankungen weiter ansteigen werden. Insbesondere Allergien seien laut Traidl-Hoffmann ein unterschätztes Phänomen – sowohl gesundheitlich als auch ökonomisch: „Die Umwelt ist komplex, und natürlich kann man einzelne Erkrankungen nie an nur einem Faktor festmachen. Aber klar ist: Die Erderwärmung spielt gerade im Bereich der Pollen eine zentrale Rolle.“ Denn Pollenallergien werden auf vielfache Weise vom Klimawandel verschlimmert.

Allein Allergien und Luftverschmutzung kosten Europa bereits 200 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr

Zunächst einmal verlängert sich durch die kürzeren Winter die Pollenflugzeit erheblich. Außerdem fliegen mehr Pollen pro Tag, was durch neue Pflanzenarten in Deutschland noch verstärkt wird. Eine dieser neuen Arten ist das hochallergene Ambrosia artemisiifolia – auch Beifußambrosie oder Traubenkraut genannt –, das schwere Heuschnupfensymptome bis hin zu Atemnot auslösen kann. Die ursprünglich aus Nordamerika stammende Pflanzenart breitet sich seit Jahren in weiten Teilen Europas aus und zählt nicht umsonst zu den 100 „schlimmsten“ invasiven Arten. Aufgrund der steigenden Temperaturen fliegen die Ambrosia-Pollen nun auch immer weiter Richtung Norden, sodass in Zukunft allein für Deutschland jährliche Behandlungskosten von 193 bis 1190 Millionen Euro erwartet werden. „Das Schlimme ist,“ meint Traidl-Hoffmann, „dass all diese Pollen noch aggressiver werden, wenn sie sich mit Feinstaub verbinden. Insofern verstärken sich Umweltverschmutzung und Klimawandel gegenseitig, weshalb wir unbedingt die Grundursache beider Phänomene, nämlich die Verbrennung fossiler Brennstoffe, beenden müssen.“

Traidl-Hoffmann zufolge kosten Allergien Europa heute schon 55 bis 151 Milliarden Euro: „Und da ist nur der Verlust der Arbeitskraft eingerechnet und noch keine Krankenhauskosten und Medikamente.“ Im Vergleich zu Hitzetoten betreffen Allergien nämlich vor allem die jüngere, arbeitende Bevölkerung. „Wir haben derzeit 40 Prozent Allergiker*innen in Deutschland“, sagt Traidl-Hoffmann: „Wenn diese Zahl in den nächsten Jahrzehnten auf 50, 60, 70 Prozent ansteigt, müssen sie die entstehenden Kosten nur hochrechnen.“

Ähnlich teuer sind die Auswirkungen der Luftverschmutzung, die allein im Jahr 2018 einen europaweiten Schaden von 166 Milliarden Euro verursachten – als Folge von Krankheit und Arbeitsausfall. Für jeden Einwohner einer europäischen Stadt bedeutet dies einen durchschnittlichen Wohlstandsverslust von 1250 Euro. Deutscher Spitzenreiter ist die Stadt München mit 1984 Euro pro Kopf. Und obwohl das Risiko, an den Folgen von Luftverschmutzung frühzeitig zu sterben in Deutschland gesunken ist, stellt es dennoch ein höheres Gesundheitsrisiko als Rauchen dar. So versterben laut einer aktuellen Harvard-Studie jährlich 198.000 Menschen allein in Deutschland an den Folgen schlechter Luftqualität. Weltweit sind es mehr als 10 Millionen.

„Es ist schon zu erwarten, dass wir mehr Infektionen durch Erreger sehen werden, die bisher eher in den Tropen vorgekommen sind. Aber es wird nicht so sein, dass wir jetzt massenhaft Dengue- oder West-Nil-Fiebererkrankungen sehen werden.“

Prof. Dr. Thomas Jelinek, Berliner Centrum für Reise- und Tropenmedizin

Neue Infektionskrankheiten haben nicht zwangsläufig den Klimawandel als Ursache

Eine weitere indirekte Folge des Klimawandels sind sogenannte vektorübertragene Erkrankungen. Dabei handelt es sich um Krankheiten, die über ein infiziertes Tier – den Vektor – auf den Menschen übertragen werden, beispielsweise die durch Zecken übertragene Borreliose. „Borreliose-Erkrankungen haben sich deutschlandweit in den letzten 5 Jahren verdoppelt“, meint Traidl-Hoffmann: „Das liegt zum einen an der längeren Zeckensaison, und zum anderen daran, dass die Borrelien in den Zecken durch höhere Temperaturen aktiver und mehr werden. Dadurch wird eine einzelne Zecke infektiöser.“ Auch Prof. Dr. Thomas Jelinek, Medizinischer Direktor des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedizin, verfolgt die Zunahme an zeckenübertragenen Krankheiten in Deutschland aufmerksam. Doch er betont, dass „die Fallzahlen nicht so dramatisch sind, dass man hier eine hohe Kostensteigerung erwarten müsste.“

Ähnlich sieht Jelinek das bei exotischen Krankheiten wie dem West-Nil- oder Dengue-Virus: „Es ist schon zu erwarten, dass wir mehr Infektionen durch Erreger sehen werden, die bisher eher in den Tropen vorgekommen sind. Aber es wird nicht so sein, dass wir jetzt massenhaft Dengue- oder West-Nil-Fiebererkrankungen sehen werden. Das werden kleinere lokalisierte Ausbrücke sein, die unser Gesundheitssystem gut beherrschen kann.“ Den Grund für das Neu-Auftreten dieser Infektionserkrankungen in Deutschland sieht Jelinek auch weniger im Klimawandel als in der fortschreitenden Globalisierung: „Die asiatische Tigermücke – Überträgerin von Zika-, Chikungunya, West-Nil- und Dengue-Virus – haben wir bereits 2007 in Norditalien festgestellt. Und die ist durch Frachtschiffe dorthin gebracht worden. Den Mücken wird es natürlich leichter gemacht, wenn es wärmer wird. Doch die Zunahme an Infektionserkrankungen hängt sehr stark davon ab, wie sich das betroffene Land an die höheren Temperaturen anpasst. Und das deutsche Gesundheitssystem wird das meiner Ansicht nach eine ganze Weile gut kompensieren können.“

„Letztendlich ist Klimaschutz eine Sparmaßnahme, die uns sehr viel weniger kosten wird, als wenn wir nichts tun.“

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Universität Augsburg und Helmholtz Zentrum München

Nichtsdestotrotz kostet auch diese Kompensation Geld. 2007 schätzte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die generellen Anpassungskosten an den Klimawandel im Gesundheitswesen auf 24 Milliarden Euro. Dazu kamen noch einmal 37 Milliarden Euro durch Klimaschäden ­– beispielsweise durch Sterbefälle, Krankenhauskosten und Arbeitsunfähigkeit. „Letztendlich“, resümiert Traidl-Hoffmann, „ist Klimaschutz eine Sparmaßnahme, die uns sehr viel weniger kosten wird, als wenn wir nichts tun.“

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