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Fleisch ohne Leid und Verzicht?

Hoffnungen und Herausforderungen bei der Entwicklung von kultiviertem Fleisch

Allein die Bedrohungen durch den Klimawandel wären Grund genug, den umweltschädlichen Konsum von Fleisch sofort einzudämmen. Doch die globale Nachfrage steigt und zunehmender Wohlstand und eine wachsende Weltbevölkerung werden den Trend Prognosen zufolge in den kommenden Jahren weiter verstärken. Weltweit suchen Wissenschaftler*innen in Forschungsinstituten, Startups und mittlerweile auch in finanzkräftigen Großunternehmen daher nach Alternativen zu konventionell hergestelltem Fleisch. Zuletzt mit einigem Erfolg. 

Wo steht die Forschung beim Laborfleisch, wie zellbasiertes Fleisch aus der Petrischale häufig genannt wird? Und: Lassen sich mit der Kultivierung von Fleisch jene Probleme lösen, die im Zusammenhang mit dem Verzehr tierischer Produkte immer wieder genannt werden: das Tierleid, die Klima- und Umweltbelastungen, der enorme Verbrauch an Wasser und Energie. Wird all das ein Ende haben? Kurz: Kann man kultiviertes Fleisch guten Gewissens als „Good Meat“ – also „gutes Fleisch“ – bezeichnen, wie das jenes Unternehmen macht, das weltweit als erstes Fleisch aus dem Labor verkauft? Das ist in der Forschung umstritten. 

Wie wird Laborfleisch kultiviert?  

Die Herstellung von Laborfleisch funktioniert mittels Tissue Engineering, also Gewebezucht: Dafür werden tierische Zellen von geschlachteten Tieren genommen oder per Biopsie von lebenden Tieren, häufig Stammzellen aus Muskelgewebe. Diese werden in einem Nährmedium vermehrt. Durch Zellteilung vergrößert sich das Zellmaterial, das schließlich – an einem Trägergerüst wachsend – zu einer Masse heranwächst. Aktuell ähnelt sie meist Hackfleisch, in einigen Jahren aber vielleicht schon einem Steak. . Tierfrei ist das Fleisch aus dem Labor also nicht. 

Die Entwicklung eines tierleidfreien Nährmediums ist zentral

Geforscht wird momentan vor allem an zweierlei: Zum einen an möglichst schonenden Techniken zur Gewinnung der Zellen, die als Ausgangsmaterial für die Züchtung benötigt werden. Bisher wird dafür häufig geschlachtet, aber auch eine Technik, bei der Zellen per Biopsie gewonnen werden, fügen den Tieren Leid zu. Dr. Monika Röntgen, Zellforscherin am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN), vergleicht diesen Vorgang mit einer kleinen OP. 

Zum anderen wird an Nährlösungen geforscht, in denen die Zellen zu Vermehrung und Wachstum angeregt werden. Als Basismedium wurde bislang vielfach Kälberserum genutzt, das auch in der Stammzellforschung und bei der Medikamentenentwicklung verwendet wird. Darin entwickeln sich Zellen besonders gut. Allerdings: Bei der Gewinnung dieses Blutserums sterben Muttertier und Kalb auf grausame Weise.

„Wir gewinnen unsere Zellen ohne Schlachtung und schmerzfrei.“

Dr. Monika Röntgen, Zellforscherin am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN)

Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bis 2024 mit 1,9 Millionen Euro gefördertes Forschungsprojekt setzt genau da an. Unter Federführung von Dr. Monika Röntgen wollen Forscher*innen aus Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Sachsen-Anhalt gemeinsam Verfahren entwickeln, um Fleisch aus dem Labor künftig so herzustellen, dass dafür keine Tiere leiden müssen. „Wir gewinnen unsere Zellen ohne Schlachtung und schmerzfrei“, sagt Röntgen. Auch entwickelt das Forschungsteam Alternativen zum Einsatz von fetalem Kälberserum und Antibiotika in den für die Zellkultur genutzten Nährmedien. Ihr langfristiges Ziel: Die Etablierung von Zelllinien, mit denen es sich vermeiden lässt, dass lebende Tiere als Zellspender nötig sind. 

Auch andere Forschende weltweit machen sich auf diesen Weg. So gibt es mittlerweile pflanzliche Nährlösungen auf Basis von Algen und Pilzen, einzelne Unternehmen haben bereits angekündigt, vollständig ohne Kälberserum auszukommen. 

Wenn es gelingt, das umstrittene Serum tatsächlich komplett aus der Produktion zu verbannen, sind die Wissenschaftler*innen ein gutes Stück weiter. Bis das klassische Grillsteak im Supermarkt liegt, wird aber noch einige Zeit vergehen. Zunächst wird es wohl Wurst und Burgerpatties geben. Prognosen zufolge sollen aber bereits 2030 zehn Prozent des weltweit konsumierten Fleisches kultiviertes Fleisch sein, sagt Röntgen. 2040 – so weitere Schätzungen – soll der Anteil bereits bei bis zu 35 Prozent liegen. 

In Deutschland produziert bislang noch niemand

Lebensmittel aus Zell- und Gewebekulturen wie kultiviertes Fleisch oder im Bioreaktor gezüchteter Fisch gelten in Deutschland und Europa als neuartige Lebensmittel und fallen damit unter die Novel-Food-Verordnung. Bisher sind in Europa weder Fisch noch Fleisch aus In-Vitro-Produktion zugelassen. Einige Unternehmen und Startups stehen aber wohl kurz davor, einen Antrag auf Zulassung bei der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) zu stellen. 

Und dann wird das Klima gerettet? Ob die Umweltversprechen der Befürworter*innen eingehalten werden können, ist unklar. Klar ist, dass Laborfleisch eine bessere CO2-Bilanz hat und natürlich deutlich weniger Landfläche verbraucht als konventionelles Fleisch. Ob die Technologie aber auch den Energieverbrauch eindämmen kann? Laut Umweltbundesamt (2020) können die Umweltauswirkungen des In-vitro-Fleisches bislang nur hypothetisch abgeschätzt werden, da eine großskalige Produktion (noch) nicht möglich ist. Kritiker*innen verweisen deshalb darauf, dass die Forschung längst gezeigt habe, dass eine überwiegend pflanzliche Ernährung mit Abstand die gesündeste und umweltfreundlichste Art der Ernährung sei. 

Interessant wird daher, wie sich Verbraucher*innen in Zukunft verhalten: Weltweit steigt der Fleischkonsum, in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern geht er – von vergleichsweise hohem Niveau – seit einigen Jahren zurück. Insbesondere unter Jüngeren, die nur noch zwei Drittel dessen essen, was viele Erwachsene an Fleisch und Wurstwaren konsumieren. Auch der Markt an pflanzlichen Ersatzprodukten boomt in Deutschland. Einer Studie der Universität Osnabrück zufolge können sich aber immerhin rund 60 Prozent der Deutschen vorstellen, zukünftig in einen Burger aus kultiviertem Fleisch zu beißen.

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