Die Gründe für die Lieferengpässe sind vielfältig. Ludwig stellt hier jedoch vor allem einen Grund voran: „Die Monopolisierung und Verlagerung der Medikamentenproduktion ist eine der Hauptursachen. Generika werden heute aufgrund der geringeren Produktions- und Personalkosten hauptsächlich in China und Indien hergestellt, sowohl die Wirkstoffe als auch die Arzneimittel selbst.“ Auch Rainer Riedel sieht dies als Problem: „Oft gibt es nur ein bis zwei Hersteller in diesen Ländern. Die Chargen unterschiedlicher Firmen laufen im Grunde über das gleiche Band.“ Wenn es dann zu Problemen bei der Produktion oder in der Lieferkette komme, sei oft gleich das ganze Arzneimittel nicht mehr verfügbar. In der Vergangenheit führten beispielsweise eine Explosion in einem Werk oder die Verunreinigung einer Arznei mit potenziell krebserregenden Stoffen zu Lieferausfällen. „Wenn ein Medikament nicht mehr lieferbar ist, kann es dann auch bei den medikamentösen Alternativen aufgrund der erhöhten Nachfrage zu Engpässen kommen“, sagt Ludwig.
Frank Dörje sieht in der Abwanderung der Arzneimittelproduktion eine logische Konsequenz: „Der Preisdruck für Generika ist sehr hoch. Oft lohnt sich die Produktion für die Pharmafirmen nicht mehr, weshalb es manchmal nur noch einen Hersteller gibt.“ Krankenhausapotheken verhandeln die Preise direkt mit den Firmen, niedergelassene Apotheken müssen Medikamente zu den Preisen abgeben, die die Krankenkassen in sogenannten Rabattverträgen mit den Firmen vereinbart haben. Von dem Argument, dass diese Rabattverträge schuld an Lieferengpässen seien, da sie die Preise zusätzlich drücken und sich die Kassen oft nur auf wenige Hersteller verlassen, wollen die drei Experten jedoch nichts wissen. „Es gibt die Rabattverträge schon sehr lange, auch als es noch keine Engpässe gab. Aber natürlich möchten wir, dass Kassen Rabattverträge mit mehreren Unternehmen vereinbaren“, sagt Ludwig. Für den Mediziner ist vor allem ein anderer Schritt entscheidend: die Produktion wieder nach Europa zu holen. Welche Anreize es dafür geben soll, müsse noch überlegt werden.
Der Verband der Krankenhausapotheker fordert, dass die Lagerkapazitäten von Medikamenten erhöht werden. Bisher gibt es für niedergelassene Apotheken eine Lagerverpflichtung von einer Woche, für Krankenhausapotheken und den Großhandel sind es zwei Wochen. Firmen sind nicht zur Lagerung verpflichtet. „Es sollte auch eine Lagerverpflichtung für Firmen von mindestens vier Wochen eingeführt werden“, so Dörje, „auch wenn das aus ökonomischer Sicht wenig attraktiv für die Pharmakonzerne ist.“ Riedel gibt dabei jedoch eines zu bedenken: „Es gibt sicher Medikamente, bei denen der Preis nach unten hin ausgereizt ist. Aber es würden nicht so viele Firmen Generika produzieren, wenn sie damit kein Geld mehr verdienen könnten. Solange die Gewinnmargen der Pharmakonzerne entsprechende Deckungsbeiträge sicherstellen, sollte ein Geschäftsmodell von allen Partnern entwickelt werden, um die Arzneimittelversorgung insbesondere mit den lebensnotwendigen Arzneimitteln unter ‚normalen Rahmenbedingungen‘ sicherzustellen.“