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Meinungsforschung in der Krise?

Aber was sagt die Wissenschaft? Lagen die Umfragen wirklich so oft daneben?

Was sind Umfragen noch wert?“, „Die Orakel haben versagt“, „Die Krise der Meinungsumfragen“ – Diese drei Überschriften stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Schlagzeilen und Medienberichten aus dem vergangenen Jahr, die sich mit (scheinbar) fehlerhaften Meinungsumfragen und Wahlprognosen und der Demoskopie als solcher beschäftigen.

Aber was sagt die Wissenschaft? Lagen die Umfragen wirklich so oft daneben? Haben sich die Meinungsforschung und die von ihr befragten Gruppen auseinander entwickelt? Bilden Meinungsumfragen nicht mehr die Wirklichkeit der Stimmungen ab und wenn ja warum ist das so? Werden in der Welt der digitalisierten Kommunikation auch die Prognosen der Meinungsforscher unsicherer?

„Sinkende Response-Rates führen nicht automatisch zu schlechten Umfragen. Sie erschweren aber die Arbeit und Umfragen werden kostspieliger“

(Prof. Dr. Rüdiger Schmitt-Beck)

Tatsächlich stehen Meinungsforscher vor erheblichen Herausforderungen: „Die schwindende Antwortbereitschaft in Kombination mit der schwierigen Erreichbarkeit aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen ist eine der großen Herausforderung unserer Zeit“, sagt Dr. Marcus Groß, Statistiker von der INWT Statistics GmbH. Der Wahlforscher Prof. Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Mannheim benennt zwei zentrale Herausforderungen der Demoskopie: „Die Leute sind schwerer erreichbar. Je mobiler die Gesellschaft, desto schlechter sind die Menschen zu erwischen. Gleichzeitig werden die rechtlichen Grenzen, wie intensiv eine Person kontaktiert werden darf, immer strikter.“ Zudem entwickelten die Menschen ein zunehmendes Misstrauen und daher nehme die Bereitschaft ab, sich in einer „anonymisierenden, individualisierten Gesellschaft gegenüber unbekannten Dritten zu öffnen.“

Allerdings kann eine mangelnde Beteiligung falsche oder fehlerhafte Umfragewerte allein nicht erklären: „Sinkende Response-Rates führen nicht automatisch zu schlechten Umfragen. Sie erschweren aber die Arbeit und Umfragen werden kostspieliger“, so Prof. Schmitt-Beck.

„Seit dem Aufkommen neuer Parteien sind Wahlumfragen schwieriger geworden, weil die Modelle ständig neu angepasst werden müssen.“

(Holger Geißler)

Zudem sieht sich auch die Methodik der Meinungsforschungsinstitute in Deutschland immer stärkeren Herausforderungen gegenüber. Einer der Hauptgründe: Das Entstehen und der Aufstieg neuer Parteien. War einst der Aufstieg der Piratenpartei zunächst nicht zu erfassen, wiederholte sich das Phänomen bei der AfD. „Es ist natürlich viel einfacher, ein Modell zu berechnen, wenn über Jahre hinweg die gleichen Parteien eine Rolle spielen“, sagt Holger Geißler, Head of Research bei YouGov in Deutschland: „Seit dem Aufkommen neuer Parteien sind Wahlumfragen schwieriger geworden, weil die Modelle ständig neu angepasst werden müssen.“ Alle diese Einflussfaktoren zu berücksichtigen benötigt mathematische Finessen. „Alle Institute gewichten ihre Daten nach einem bestimmten Schlüssel, damit am Ende das herauskommt, was sie als mögliche Wahlergebnisse publizieren“, erklärt Rüdiger Schmitt-Beck: „Aber man weiß niemals, unter welchen Bedingungen diese Verfahrensweise gut funktioniert und unter welchen Bedingungen nicht mehr.“ Genau diese Schlüssel müssten also permanent nachjustiert werden.

Dieser in renommierten, wie auch neu aufkommenden Meinungsforschungsinstituten, oft wie ein Betriebesgeheimnis gehütete Gewichtungsschlüssel sollte nicht nur Parteidynamiken erfassen können, sondern aus den Anteil unentschlossenen Wähler und dem Einfluss strategischer Wahlüberlegungen abbilden. Gerade weil so viele Faktoren beachtet werden müssen, kann eine Vorhersage gründlich daneben gehen. So passiert zum Beispiel, als die AfD in den Landtagswahlen 2016 zunächst permanent besser abschnitt als vorhergesagt, bis die Gewichtungsschlüssel entsprechend angepasst wurden.

„Es war natürlich beide Male das Problem, dass man qualitativ daneben gelegen hat und gesagt hat, die andere Seite gewinnt“

(Christian Fahrenbach)

Woanders auf der Welt gibt es weit prominentere Beispiele für angeblich fehlerhafte Umfragen: etwa die Abstimmungen zum Brexit und die Wahl von Trump zum Präsidenten der USA. Scheinbare Schlappen für die Umfrageinstitute, zumindest, wenn man der medialen Berichterstattung glaubt. „Wissenschaftlich und quantitativ lagen die Umfragewerte in Wirklichkeit ganz gut“, betont Christian Fahrenbach, Mitbegründer des Umfrageprojekts „Signal & Rauschen“. Beide Ergebnisse waren letzten Endes enorm knapp und lagen innerhalb der üblichen Fehlertoleranz der jeweiligen Umfragen. „Es war natürlich beide Male das Problem, dass man qualitativ daneben gelegen hat und gesagt hat, die andere Seite gewinnt“, erklärt Fahrenbach.

Ein Blick auf die Brexit-Umfragen zeigt: Bereits Tage vor der Abstimmung ging die Kurve der Befürworter des Brexit stark nach oben und beide Lager waren nahezu gleichauf.

 

Auch für Holger Geißler sind die Vorhersagen im Rückblick unglücklich gelaufen: „Wir haben zwar immer kommuniziert, es wird knapp. Aber im Endeffekt legt man sich ja fest wie die Wahl ausgeht.“ Das heißt im Klartext: Es ist immer eine Frage, wie die Ergebnisse kommuniziert werden und welchen Einfluss die Veröffentlichung einer Umfrage auf die letztliche Entscheidung der Wähler ausübt. Für die öffentliche Wahrnehmung der Prognosekraft von Umfragen waren die beiden Beispiele natürlich verheerend.

Trotzdem sehen die Experten die Meinungsforschung nicht grundsätzlich in einer Krise. „Die Wahlumfragen sind oft besser als unterstellt“, so Marcus Groß. Und nach einem Grund für die gefühlte Krise der Meinungsforschung gefragt, sagt Christian Fahrenbach: „Unter dem Strich ist mein Eindruck, dass man den Umfrageinstituten vorwerfen kann, zu wenig herauszuarbeiten, wie fehlbar sie sein können. Aber sie treffen auch auf Publikum, dass das nur allzu gerne glaubt.“

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