Foto: Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Das alles passiert unter einem erheblichen Zeitdruck”

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Johann Pratschke

Wer kommt als Organspender überhaupt in Frage?

Fast jeder und mehr Menschen als viele denken. Es gibt beispielsweise grundsätzlich kein Alterslimit für eine Organspende. Eines des wenigen Ausschlusskriterien ist, wenn der potentielle Spender an einem bösartigen Tumor oder einer Infektionskrankheit litt. Denn in diesem Fall ist das Risiko, dass bei einer Organspende die betroffenen Zellen ebenfalls transplantiert werden, zu hoch.

Der klischeehafte Organspende ist immer der Motorradfahrer, der ein isoliertes Schädel-Hirn-Trauma hat. Den klassischen Unfallverunglückten gibt es als Organspender aber kaum. Heutzutage sind Organspender eher ältere Patienten, die  einen Schlaganfall erlitten haben.

„Es wird aber ohnehin in allen Fällen mit den Angehörigen gesprochen.“

Wie wird in den Krankenhäusern mit potentiellen Organspendern umgegangen?

Wenn ein Patient auf der Intensivstation den Hirntod erleidet, wird geprüft, ob ein Organspendeausweis vorliegt. Es wird aber ohnehin in allen Fällen mit den Angehörigen gesprochen. Liegt ein Ausweis vor, ist die Argumentation deutlich leichter. Liegt kein Organspendeausweis vor, muss in dieser schweren Situation mit den Angehörigen gemeinsam herausgearbeitet werden, was der Wunsch des Verstorbenen gewesen wäre und ob die Angehörigen auch damit einverstanden sind.

Wer führt diese Gespräche?

Die Gespräche werden zumeist von den Ärzten auf der Intensivstation geführt. Extra ausgebildete Teams sind dabei sehr selten. Letztlich braucht es dafür einen erfahrenen Arzt, der ein einfühlsames Gespräch führen kann.

Während all dieser Zeit wird der hirntote Patient weiter künstlich beatmet. So werden die Körperfunktionen für eine mögliche Spende noch am Leben gehalten. Würde man die künstliche Beatmung in dieser Zeit stoppen, würden auch die Organe zwangsläufig absterben.

„Je schneller transplantiert wird, desto besser funktionieren die Organe.“

Wie läuft die Organspende ab?

Willigen die Angehörigen einer Organentnahme ein, wird die Deutsche Stiftung Organstransplantation (DSO) benachrichtigt und der verstorbene Patient als Spender gemeldet. Am Spender werden verschiedenste medizinische Untersuchungen vorgenommen, um festzustellen, welche Organe sich überhaupt für eine Spende eignen und für wen sie zur Verfügung stehen.

Die Entnahme erfolgt dann durch die entsprechenden Teams. Das ist beispielsweise für Herz und Lunge ein anderes als für Leber und Niere. Sobald die Organe vom Blutkreislauf abgetrennt sind, werden sie auf Eis konserviert und zu den Organempfängern transportiert. Das alles passiert unter einem erheblichen Zeitdruck, denn je schneller transplantiert wird, desto besser funktionieren die Organe.

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„Eine Organspende ist für die entnehmenden Krankenhäuser nicht attraktiv und schon gar nicht finanziell lukrativ.“

Wie wird entschieden, wer ein Organ bekommt?

Die Vergabe der Organe erfolgt über separate Listen bei Eurotransplant. Dabei ist die Vergabe ein relativ komplexes System aus den Kriterien Wartezeit, Dringlichkeit und Aussicht auf Erfolg. Aber auch die übereinstimmenden immunologischen Merkmale zwischen Spender und Empfänger spielen eine erhebliche Rolle. Von Organ zu Organ werden die Kriterien unterschiedlich gewichtet. Bei der Niere beispielsweise lässt sich mittels der Dialyse besser etwas Zeit überbrücken, als bei einem Herz, wo innerhalb kürzester Zeit ein neues Organ transplantiert werden muss.

Was bedeutet die Organspende für die Krankenhäuser?

Eine Organspende ist für die entnehmenden Krankenhäuser nicht attraktiv und schon gar nicht finanziell lukrativ. Denn ein Patient, der bereits verstorben ist, aber seine Organe zur Spende freigegeben hat, benötigt die gesamte Infrastruktur im Krankenhaus, während andere Patienten nicht versorgt werden können. Der Organspender liegt weiterhin auf der Intensivstation und wird medikamentös behandelt, während der OP-Saal vorbereitet wird und die Gespräche mit den Angehörigen erfolgen. All diese Maßnahmen werden mit einer Pauschale von den Krankenkassen abgegolten, die zwar den tatsächlichen Aufwand, aber nicht den Wert der eingesetzten Ressourcen abdecken.

Wie könnte die Situation in den Krankenhäusern verbessert werden?

Man müsste den Krankenhäusern einen finanziellen Anreiz geben, damit sie Organspenden verwirklichen. Die Krankenhäuser sind zwar verpflichtet Organspenden umzusetzen, doch wenn sie mit jeder Organspende ein finanzielles Minus machen, ist es verständlich, dass sie diese Pflicht nur ungerne nachkommen. Es bräuchte den politischen Mut, um die Organspende wie eine teure Therapie zu sehen und pro Entnahme deutlich mehr zu zahlen – dann wäre ein Anreiz da, um die Strukturen innerhalb der Krankenhäuser zu überdenken.

Was halten sie von den Überlegungen die Widerspruchslösung oder die Organentnhame nach Herz-Kreislauf-Stillstand einzuführen?

In Deutschland gab es auch im Bundestag schon lange Diskussionen, letztendlich ist damals der Versuch die Widerspruchslösung einzuführen aber gescheitert. Ich glaube, dass die Situation immer noch die gleiche ist. Es gibt viele sinnvolle Argumente für eine Widerspruchsregelung und ich befürworte sie, aber ich halte es momentan für unrealistisch und politisch nicht umsetzbar.

Bezüglich  der Organentnahme nach Herz-Kreislauf-Stillstand muss man nach medizinischen und ethischen Perspektiven trennen: Medizinisch ist das ein sinnvolles Verfahren, denn so kann vielen Patienten das Leben gerettet werden. In Deutschland tut man sich mit dieser Diskussion aber aufgrund unserer Geschichte besonders schwer. Ich halte die Diskussion daher für ein sehr dünnes Eis, welches wir nicht betreten sollten. Bevor man eine Gesetzesänderung in Erwägung zieht, hat man sehr viele andere Möglichkeiten die Organspende zu optimieren.

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