Foto: Anna Holowetzki/Unsplash

Gentrifizierung – Stadtviertel in Mode

Wie verändern sich Stadtviertel und was passiert mit den Bewohnern?

Durchgestylte Kneipen mit Craft-Bier, schicke Läden mit Designermöbeln und modisch adrett angezogene Kinder, die sich mit ihren ebenso modisch adrett angezogenen Eltern auf Spielplätzen tummeln: Der Berliner Bezirk Prenzlauer Berg – wo einst die grauen Fassaden bröckelten – gilt heute als Inbegriff des modernen Spießerbezirks. Nicht nur Prenzlauer Berg, sondern auch andere ehemalige „Arbeiterviertel” deutscher Großstädte sind als solche heute nicht mehr wiederzuerkennen. Damit folgen sie einem Trend, den New York, Paris oder London schon deutlich früher zeigten: Die Gentrifizierung innerstädtischer Stadtviertel.

„Gentrifizierung ist dabei allgemein definiert als der Prozess der sozialen, funktionalen, baulichen und symbolischen Aufwertung eines Stadtteils”, sagt der Geograph Dr. Sebastian Schipper von der Goethe-Universität Frankfurt. „Ganz konkret beschreibt Gentrifizierung aber immer die Verdrängung einkommensschwacher Schichten aus aufgewerteten Stadtvierteln.“

Während Gentrifizierung früher eher die Ausnahme war, ist der Prozess inzwischen in allen deutschen Großstädten angekommen. Denn lange Zeit gab es eine hohe Abwanderungsrate an den Stadtrand – vor allem von Menschen aus der oberen und mittleren Gesellschaftsschicht.

 

Infobox Gentrifizierung:

Der Ursprung des Begriffs liegt in der Stadtforschung der 1960er Jahre, als die britische Soziologin Ruth Glass Wandlungsprozesse im Londoner Viertel Islington beschrieb. Glass zog in ihrer Forschung Parallelen zu Entwicklungen im 18. Jahrhundert, als der niedere Adel  – „Gentry” – vom Land in die Städte zog und mit der einkommensschwachen Bevölkerung um Wohnraum konkurrierte. In Anlehnung daran nannte sie das Phänomen „gentrification”.

Der Prozess der Gentrifizierung in den städtischen Innenstadtbezirken verläuft dabei überall nach einem ähnlichen Prinzip: Ein Stadtviertel erscheint der Immobilienwirtschaft wegen der attraktiven Lage und noch geringen Mieten profitabel: Es wird investiert und modernisiert. Dadurch werden „Pioniere” und „Gentrifier” angezogen, für die der Bezirk plötzlich interessant wird. Auch die Sozialstruktur und der Charakter des Viertels verändern sich.

„Es ist aber ein Mythos zu glauben, dass sich ein Viertel allein durch die Bewohner aufwertet und erst dadurch eine immobilienwirtschaftliche Reaktion ausgelöst wird”, sagt der Stadtsoziologe Dr. Andrej Holm von der Humboldt-Universität zu Berlin. Ausgangspunkt dieser Aufwertungsprozesse sind vielmehr die Investitionen und das immobilienwirtschaftliche Interesse an sich. „Die Neoliberalisierung der Wohnungs- und Stadtplanungspolitik in den letzten Jahrzehnten und die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise haben dazu geführt, dass viel mehr Kapital in den Immobilienmarkt investiert wird”, sagt Schipper.

„Die Verdrängung ist nicht nur ein Nebeneffekt, sondern der Kern der Gentrifizierung. Daher hat es relativ wenig Spielräume für eine positive Beurteilung.”

Dr. Andrej Holm, Humboldt-Universität zu Berlin

Neben dem Streben nach profitablen Renditen hat auch ein weiteres Phänomen die Gentrifizierung vorangetrieben: „Die Menschen strömen wieder in die Städte”, erklärt Schipper. „Für Berufstätige und Familien ist es heutzutage wieder attraktiv dort zu wohnen – nicht zuletzt wegen der sozialen Infrastruktur mit Schulen und Kitas.” Tatsächlich haben alle großen Städte Deutschlands in den letzten Jahren ein deutliches Einwohnerwachstum erfahren. Für Berlin, Frankfurt und München berechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sogar einen Zuzug in den kommenden 20 Jahren von 11 bis 15 Prozent.

Bessere Bildungsangebote, weniger Gefahr und eine blühende Gastro- und Kunstszene: Gründe, weshalb Gentrifizierungsprozesse durchaus positiv bewertet werden, gibt es einige. Trotzdem wird sie aus wissenschaftlicher Perspektive nicht als positiv gewertet, denn: „Die Verdrängung ist nicht nur ein Nebeneffekt, sondern der Kern der Gentrifizierung. Daher hat es für mich tatsächlich relativ wenig Spielräume für eine positive Beurteilung”, sagt Holm. Auch Schipper stimmt dieser Einschätzung zu.

Leidtragende der Gentrifizierung sind in erster Linie Menschen mit geringem Einkommen. Von den steigenden Mieten sind sie besonders stark betroffen und haben in gentrifizierten Vierteln oftmals keine andere Möglichkeit als auszuziehen – es sei denn, sie wollen deutlich mehr als 30 Prozent ihres Einkommens in die Miete investieren. „Man kann beobachten, dass viele Menschen, die von Verdrängung bedroht sind, an den Lebenshaltungskosten sparen und eher noch einen Zweitjob annehmen, um die Wohnung möglichst halten zu können”, sagt Schipper.

 

Infobox: Gentrifizierungsforschung

Die Stadtforschung hat sich bislang vor allem auf die Ursachen der Gentrifizierung und die Zugezogenen fokussiert. Über die Hauptgruppe der Verdrängten weiß man hingegen noch relativ wenig. Denn, wenn die Verdrängung tatsächlich bereits eingesetzt hat, ist es schwierig herauszufinden, wer diese Menschen sind und was die Motive für den Wegzug waren. Wichtig ist es daher mit den Forschungsvorhaben anzufangen, bevor die Gentrifizierung überhaupt stattfindet.

„Wenn die meisten Viertel in einer Stadt bereits eine Gentrifizierungswelle erlebt haben, weicht freies Kapital auch auf periphere Viertel aus.”

Dr. Sebastian Schipper, Goethe-Universität Frankfurt

Damit es nicht zu Verdrängung kommt, die Städte aber trotzdem lebenswert bleiben, wäre es wichtig vor allem darüber nachzudenken, wie „Aufwertungsprozesse in Stadtvierteln geschehen können, sodass alle Bewohner davon profitieren können. Und dazu gibt es eine ganze Reihe an politischen Instrumenten”, sagt Holm. So könnten Mietrechtsverschärfungen die Verdrängung deutlich entschleunigen – wie beispielsweise Milieuschutz oder die Senkung der Kappungsgrenzen ebenso wie ein stärkerer Fokus auf nicht-gewinnorientierte Eigentümerstrukturen.

Aktuell ist ein Ende der Gentrifizierung der deutschen Innenstadtviertel aber nicht in Sicht. „Wenn die meisten Viertel in einer Stadt bereits eine Gentrifizierungswelle erlebt haben, weicht freies Kapital auch auf periphere Viertel aus und treibt dort Mietsteigerungen und Verdrängung voran,” sagt Schipper. Und auch Bezirke, die schon eine Entwicklung wie Prenzlauer Berg durchgemacht haben, könnten weiter ‘super-gentrifiziert’ werden. „Wir beobachten auch, dass Haushalte mit mittleren und höheren Einkommen von noch wohlhabenderen Haushalten aus bereits gentrifizierten Bezirken verdrängt wurden – es gibt kein Ende der Gentrifizierung”, sagt Holm.

Für ihn ist Gentrifizierung daher längst kein Phänomen mehr, das isoliert von der Stadtforschung und Stadtplanung angegangen werden kann: „Die Frage ist vielmehr, ob wir dieses Phänomen der Verdrängung durch steigende Mieten dauerhaft als ‘Gentrifizierung’ bezeichnen, oder ob es nicht ein typisches Element von heutiger Urbanisierung unter kapitalistischen Bedingungen ist”, sagt Holm.

Und wir als Gesellschaft sollten diskutieren, ob wir die Konsequenzen der Gentrifizierung, die Prozesse der Aufwertung bei gleichzeitiger Verdrängung hinnehmen wollen und wie wir damit umgehen können.

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