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Kurzfristig keine Hilfe, langfristig unverzichtbar?

Gentechnik und Ernährungssicherung

Grimmige Maiskolben, traurige Bienen, Tomaten, in denen Spritzen stecken – wer „Grüne Gentechnik” googelt, findet schnell solche Bilder. Die Vorbehalte gegen gentechnisch veränderte Pflanzen sind groß. Dabei verspricht deren Anbau höhere Erträge auf geringerer Fläche und damit vielleicht etwas mehr Ernährungssicherung in einer Welt, in der Anbauflächen knapper werden, das Klima verrückt spielt und Dürren tagtäglich Erträge schmälern. Vom Krieg in der Ukraine und den aktuellen Lieferengpässen ganz zu schweigen.

Wie kann die EU ihre landwirtschaftlichen Erträge steigern? Vieles ist in der Diskussion: Brachflächen sollen wieder genutzt oder der Ausbau des Ökolandbau verlangsamt werden. Die zusätzlichen Ernten sollen die fehlenden Exporte aus der Ukraine und aus Russland teilweise ausgleichen. Auch die sogenannte grüne Gentechnik – also der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen – wird als ein Lösungsweg diskutiert.

„Kurzfristig wird uns die Gentechnik in der drohenden Hungerkrise nichts nutzen.“

Prof. Dr. Frank Kempken, Leiter der Abteilung für Botanische Genetik und Molekularbiologie der Universität Kiel

Die Ernte könnte um bis zu zehn Prozent größer ausfallen, wenn in der EU die klassischen gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut würden, so eine im Februar erschienene Studie von Forschenden der Universität Bonn und des Breakthrough-Institut aus den USA. Das sind bisher vor allem zwei Arten von sogenannten gentechnisch-veränderten Organismen (GVOs): Insektenresistente Pflanzen produzieren, durch den Einbau eines bakteriellen Gens, selbst ein Gift, das Insekten abschreckt. Herbizidtoleranten Pflanzen dagegen können bestimmte Unkrautbekämpfungsmittel durch das gezielte “Abschalten” eines Gens nichts anhaben. Würden die Pflanzen gentechnisch verändert, die vorrangig in Europa angebaut werden, wäre eine größere Ertragssteigerung möglich, so Prof. Dr. Matin Qaim, Agrarökonom und Mitautor der Studie.

„Kurzfristig wird uns die Gentechnik in der drohenden Hungerkrise nichts nutzen”, sagt der Biologe Prof. Dr. Frank Kempken von der Uni Kiel. Zu streng sei die Regulierung in der EU und zu umstritten sei die Technologie in der Bevölkerung. Die EU plant eine offene Konsultation zur grünen Gentechnik in einigen Wochen. Doch selbst wenn da eine – im Vergleich zur heutigen – weniger weitreichende Regulierung beschlossen würde, würde es Jahre dauern bis diese in den Ländern umgesetzt sei, schätzt Kempken. In den meisten Ländern der EU ist der Anbau von GVOs verboten

Infobox: Präzisionszüchtung genom-editierter Pflanzen

Das als Gen-Schere bekannte Enzym CRISPR/Cas ermöglicht die gezielte Veränderung einzelner Gene in einer Pflanze. Dieses Verfahren wird als Präzisionszüchtung bezeichnet. Hierbei können Gene durch Einführung von Mutationen verändert werden. Dieser Prozess ist mit der klassischen Zufallsmutagenese vergleichbar, gilt aber in der EU als gentechnische Veränderung. Außerdem können sowohl Gene anderer Organismengruppen eingebracht werden (wie etwa eines Bakteriums bei insektenresistenten Pflanzen) oder Gene einer Pflanze der gleichen oder verwandten Art (meistens Gene einer verwandten Wildpflanze). Werden Gene einer verwandten Art eingebracht, bezeichnet man diese Pflanzen als cisgen. Da solche Kreuzungen auch in der Natur passieren, sind diese genom-editierten Pflanzen nicht von natürlichen Kreuzungen zu unterscheiden. 2018 stufte der Europäische Gerichtshof die Präzisionszüchtung von cisgenen Pflanzen dennoch als GVO ein. Der Anbau der so gezüchteten Pflanzen ist damit in fast den meisten EU-Ländern verboten. Viele Wissenschaftler*innen kritisieren diese Einstufung, vor allem da herkömmliche Züchtungsmethoden weitaus weniger genau sind – wie das Verändern der Gene durch Chemikalien oder Bestrahlung.

In Argentinien wird seit 2021 gentechnisch veränderter Weizen angebaut. Der sogenannte HB4-Weizen ist toleranter gegen Trockenheit und liefert – laut dem Hersteller – zwanzig Prozent höhere Erträge. Er kann auf Flächen angebaut werden, die bisher für den Weizenanbau ungeeignet waren – und die könnten aufgrund der Klimakrise gerade in Ländern wie Argentinien zunehmen. Auf der Liste der Weizen exportierenden Länder liegt Argentinien gleich hinter der Ukraine mit einem Anteil von fünf Prozent am Weltmarkt.

Langfristig könnte mithilfe von GVOs auch Europa einen Beitrag leisten, um trotz der Folgen der Klimakrise die Welt ernähren zu können: “Wir verfügen in Europa im Verhältnis zur Bevölkerung über sehr viel fruchtbares Ackerland. Wir sollten uns bewusst machen, dass das nicht überall der Fall ist,” so der Molekularbiologe Detlef Weigel gegenüber dem Tagesspiegel. In der Wissenschaft ist es weitgehend Konsens, dass GVOs genauso sicher sind, wie Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung. 2019 protestierten zahlreiche Wissenschaftler*innen aus ganz Europa in einem offenen Brief (PDF) gegen die Einstufung von cisgenen, genom-editierten Pflanzen als GVOs (siehe Infobox). Allerdings gab es in Europa aufgrund der Regulierung in den letzten Jahrzehnten zu wenig Forschung. Laut Kempken würde es fünf bis zehn Jahre dauern bis GVOs angebaut werden könnten, die speziell für den Anbau in Europa geeignet sind.

„Wir konnten es uns in Deutschland immer leisten gegen Gentechnik zu sein.“

Gabi Waldhof, Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien

Die Wirtschaftsethikerin Gabi Waldhof sieht in der aktuellen Situation die Chance, das Thema auch in der Bevölkerung nochmal neu zu diskutieren: “Wir konnten es uns in Deutschland immer leisten gegen Gentechnik zu sein.” Bisher lehnen – je nach Umfrage – etwa 80 Prozent der Deutschen den Anbau von GVOs ab. Waldhof untersucht am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, warum das so ist. Sie spricht von moralischer Verhärtung auf beiden Seiten: “Die momentane Debatte ist eher ein Wettkampf darum, wem die Moralhoheit zusteht.” Um in dem Diskurs etwas zu bewegen, müssten die Argumente der jeweiligen anderen Seite ernst genommen und die Debatte ehrlicher geführt werden. “Wir sind uns nicht einig darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Das ist die eigentliche Frage”, so Waldhof.

Frank Kempken würde sich in der öffentlichen Debatte und in der Politik einen differenzierteren Blick auf grüne Gentechnik wünschen: “GVOs sind nicht die Lösung aller Probleme, aber sie liefern zum Beispiel höhere Erträge bei der Verwendung von weniger Herbiziden. Das ist nicht schwarz oder weiß.” Er schlägt vor, auf EU-Ebene den Anbau von cisgenen Pflanzen zu zu lassen: “Das wäre ein großer Fortschritt.” Im aktuelle Koalitionsvertrag steht, dass man die “Züchtung von klimarobusten Pflanzensorten” unterstützen wolle – ob damit auch grüne Gentechnik gemeint ist, ist unklar.

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