Foto: freestocks.org / pexels

Ist Fleisch aus dem Labor die Lösung?

Das Potenzial von kultiviertem Fleisch für Umwelt, Welternährung und Tierwohl

Fleisch wird von vielen gern und regelmäßig gegessen. In Deutschland sinkt der Fleischkonsum zwar, weltweit steigt er aber immer weiter an. Die Welternährungsorganisation erwartet, dass die Fleischproduktion 2050 mit ungefähr 465 Millionen Tonnen deutlich höher ist als heute, um einer wachsenden Bevölkerung und dem erhöhten Bedarf gerecht zu werden. Die Probleme einer intensiven Fleischproduktion sind jedoch hinlänglich bekannt: Umweltschäden, Flächenverbrauch und Tierleid

Kultiviertes Fleisch (engl. Cultured Meat) wird häufig als Lösung für diese Herausforderungen genannt. Es wird aus tierischen Zellen im Labor hergestellt. Es handelt sich daher um tierisches Fleisch ohne Massentierhaltung. 

Umweltschutz aus dem Bioreaktor?

Durch die Tierhaltung werden viele klimaschädliche Gase freigesetzt: fast 40 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Emissionen. Das sind ungefähr fünf Prozent der gesamten Emissionen Deutschlands.

Welchen konkreten Einfluss die Einführung und Verbreitung von Cultured Meat auf die Umwelt hätten, kann bisher nur geschätzt werden, weil es noch keine große Produktion gibt

Zwar könnte durch die Herstellung von kultiviertem Fleisch die Tierhaltung reduziert und somit etwa der Methanausstoß bei Rindern deutlich verringert werden, aber als umweltverträglich gilt die Produktion des zellbasierten Fleisches bisher nur bedingt. 

Ein Grund dafür ist, dass die Bioreaktoren, in denen das kultivierte Fleisch wächst, beheizt werden müssen. Damit sich die Zellen vermehren, müssen sie bei Körpertemperatur, also bei ca. 37 Grad Celsius, gelagert werden. Außerdem werden die Reaktoren zwischen einzelnen Fleischkultur-Ansätzen bei einer Temperatur von ca. 78 Grad Celsius gereinigt. Das verbraucht viel Energie. Wird diese Energie weiterhin aus fossilen Brennstoffen gewonnen, könnte die Herstellung von Cultured Meat nach Einschätzungen vom Umweltbundesamt eine ähnliche CO2-Bilanz haben wie die konventionelle Fleischproduktion. 

Prof. Dr. Wolfram Schnäckel, Professor für Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Anhalt, schätzt das anders ein. Er erklärt, dass der Energieverbrauch der aktuellen Massentierhaltung sehr hoch ausfalle, unter anderem, weil die Tierställe beheizt werden müssten. Er betont, dass die Produktionszeit von kultiviertem Fleisch deutlich geringer sei als bei heranwachsenden Tieren. Dadurch verkürze sich der Zeitraum des Energieverbrauchs erheblich, was sich positiv auf die Energiebilanz auswirke. 

Für die Zellforschung sei es essentiell, dass Cultured Meat energieeffizienter produziert werde als in der Massentierhaltung. Dies gelingt insbesondere durch den starken Ausbau von erneuerbaren Energien. In diesem Fall hat Fleisch aus dem Labor eine deutlich bessere Umweltbilanz als herkömmliches Fleisch

Kultiviertes Fleisch für die Ernährungssicherheit

Die konventionelle Fleischproduktion verbraucht viel Fläche. Allein für den Anbau von Futtermitteln werden in Deutschland ca. 60 Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Flächen verwendet. Diese fehlen für den Anbau anderer Nahrungsmittel.

„Die Welternährung können wir allein mit Cultured Meat nicht sichern. Aber kultiviertes Fleisch kann einen sehr großen und wertvollen Anteil an der Sicherung der Welternährung haben.“

Prof. Dr. Wolfram Schnäckel, Professor für Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Anhalt

Steigt die Fleischproduktion wie prognostiziert auf weltweit 465 Millionen Tonnen Fleisch, muss auch mehr Tierfutter angebaut werden das Flächenproblem verschärft sich. Wird Fleisch demnächst im Labor hergestellt, wären diese Flächen für menschliche Nahrungsmittel wie Getreide oder Gemüse frei.

„Die Welternährung können wir allein mit Cultured Meat nicht sichern. Wir werden immer noch konventionelles Fleisch produzieren. Aber kultiviertes Fleisch kann einen sehr großen und wertvollen Anteil an der Sicherung der Welternährung haben“, erklärt Schnäckel. Langfristig werde es notwendig sein, den Fleischmarkt diverser aufzustellen, um der Ernährungssicherheit einer wachsenden Bevölkerung und der stärkeren Nachfrage gerecht zu werden, so der Lebensmitteltechnologe. Unternehmen prognostizieren, dass Cultured Meat bis 2040 einen Marktanteil von bis zu 35 Prozent einnehmen wird.

„Das erreicht man aber auch, wenn man davon Abstand nimmt, Fleisch zu essen.“

Prof. Dr. Birgit Beck, Leitung des Fachgebiets „Ethik und Technikphilosophie“ an der Technischen Universität Berlin

Prof. Dr. Birgit Beck, Leiterin des Fachgebiets „Ethik und Technikphilosophie“ an der Technischen Universität Berlin, ist skeptisch, ob kultiviertes Fleisch eine notwendige Rolle für die Welternährung spielt: „Durch Cultured Meat bräuchte man weniger Nutztiere und somit auch weniger Anbaufläche für Tierfutter. Das wäre ein Fortschritt für die Ernährungssicherheit. Das erreicht man aber auch, wenn man davon Abstand nimmt, Fleisch zu essen.“ Aus ethischer Sicht sei es sinnvoller, einen grundsätzlichen Ernährungswandel herbeizuführen. Weil wir aber jeden Tag von der Normalität des Fleischkonsums umgeben seien, sei es schwierig, einen komplexen Ernährungswandel umzusetzen, argumentiert Beck. „Wo soll man ansetzen? Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, in Kindergärten zu beginnen. Das setzt aber voraus, dass die Personen, die dort arbeiten, die Überzeugung einer Ernährung ohne tierische Lebensmittel teilen. Das ist aber häufig nicht so.“ 

Fleisch essen ohne Tierleid

Umfragen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zufolge, finden fast drei Viertel der Verbraucher*innen eine artgerechte Tierhaltung wichtig. Die konventionelle Tierhaltung wird von Tierschutzorganisationen regelmäßig kritisiert. 

Cultured Meat stellt Fleischkonsum ohne Tierleid in Aussicht. Durch die Herstellung von Fleisch im Labor werden deutlich weniger Tiere benötigt, was Haltungsbedingungen erleichtern kann. Die Produktion von kultiviertem Fleisch mit Kälberserum ist aber dennoch mit Tierleid verbunden. Das Kälberserum wird aus dem schlagenden Herzen ungeborener Kälber gewonnen. Diese sterben dabei. 

Schnäckel steht dieser Methode kritisch gegenüber. Seine Forschung zur Herstellung von Cultured Meat mithilfe von Nabelschnurblut soll Tierleid verringern. Die verwendete Nabelschnur von neugeborenen Ferkeln sei ein Nebenprodukt der konventionellen Tierhaltung und ermögliche Fleisch aus dem Labor, ohne dass ungeborene Tiere dafür sterben müssten, erklärt der Wissenschaftler. „Ziel der Forschung ist es, Zelllinien zu entwickeln, damit nicht jedes Mal neues Nabelschnurblut verwendet werden muss. Ist die Zelllinienforschung erfolgreich, könnte theoretisch auch die Tierhaltung deutlich reduziert werden.“ Das sei allerdings noch Zukunftsmusik.

„Viele Menschen denken: Wenn wir eine technische Lösung hätten, dann könnten wir Tierleid reduzieren und die Welternährung sichern, ohne dafür unser Verhalten ändern zu müssen.“

Prof. Dr. Birgit Beck, Leitung des Fachgebiets „Ethik und Technikphilosophie“ an der Technischen Universität Berlin

Aus Sicht von Birgit Beck würde sich damit zwar womöglich die Summe des Tierleids verringern, aber „an der Haltung, dass wir Tiere prinzipiell für unsere Zwecke nutzen dürfen, ändert sich damit erstmal nichts“, kritisiert sie. Aus einer tierrechtsethischen Perspektive hingegen würden Tiere als in sich wertvolle Wesen angesehen, die nicht für rein menschliche Zwecke verwendet werden dürften. Diese Position sei in der öffentlichen Debatte – im Gegensatz zu Tierschutz- bzw. Tierwohlpositionen – kaum vertreten, sagt die Ethikerin. Grundsätzlich hält sie die Betonung von Tierrechten für sinnvoll, wenn auch schwer umzusetzen: „Wenn man moralische Rechte von Tieren begründet und sagt, dass wir Menschen dazu verpflichtet sind, Tiere nicht für unsere Zwecke zu nutzen, dann befinden wir uns direkt in einer Verzichtsdebatte. Ein potenzieller Ernährungswandel sollte aber keineswegs mit Verzicht oder Autonomieverlust verbunden sein, sondern mit den vielfältigen Optionen, die sich auftun, wenn man den (sozialen) Zwang, Tiere und Tierprodukte als notwendige Bestandteile der menschlichen Ernährung ansehen zu müssen, aufgibt.“

Wolfram Schnäckel sieht in kultiviertem Fleisch eine Chance, um weniger Tierleid zu verursachen und um einen Teil zur Ernährungssicherung beizutragen. Beck hält Fleisch aus dem Labor nicht für notwendig, um diese Ziele zu erreichen: „Ich glaube, dass bei Cultured Meat ein ‚technical shortcut‘ vorliegt, also eine technologische Lösung für gesellschaftliche Herausforderungen, und viele Menschen denken: Wenn wir eine technische Lösung hätten, dann könnten wir Tierleid reduzieren und die Welternährung sichern, ohne dafür unser Verhalten ändern zu müssen.“ Sie hält einen Ernährungswandel für sinnvoller, der jedoch schwer umsetzbar ist. Ob Cultured Meat also einen realistischen Beitrag für derzeitige gesellschaftliche Herausforderungen leistet, lässt sich nicht abschließend beantworten. Der entscheidendste Faktor bleibt das Verhalten von Konsument*innen.

Mehr zu dem Thema