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A Nudge a Day to Keep the Doctor Away?

Über den Einsatz von Nudging im Bereich von Gesundheitsförderung und Prävention

Endlich gesünder essen, mehr Sport machen, besser auf sich achten – ein Vorsatz vieler Menschen, nicht nur zum Jahreswechsel. In der Theorie wissen wir, was unserer körperlichen und seelischen Gesundheit gut tun würde und doch fällt es den meisten schwer, dieses Wissen auch in die Tat umzusetzen. Der innere Schweinehund funkt dazwischen, die äußeren Umstände oder die Macht der Gewohnheit. 

Immerhin treffen wir viele unserer täglichen Entscheidungen nicht bewusst, sondern quasi im Autopilot. „Ein großer Teil unseres Verhaltens beruht auf unbewussten, unreflektierten Entscheidungen, die wir aus Gewohnheit treffen. Bei solchen Entscheidungen ist die Umgebung sehr stark entscheidend, sprich: Was ist verfügbar, erreichbar, bequem oder üblich?“, sagt Prof. Dr. Britta Renner, Professorin für Psychologische Diagnostik und Gesundheitspsychologie an der Universität Konstanz.

„Für eine Verhaltensänderung ist die Motivation der betreffenden Person eine notwendige, aber vielleicht nicht hinreichende Voraussetzung. Es braucht gleichzeitig eine Umgebung, die eher förderlich als hinderlich ist.”

Prof. Dr. Benjamin Schüz, Universität Bremen

Auch wenn wir bewusst eine Verhaltensänderung anstreben, sind wir durch unsere Umwelt stark beeinflusst. „In der Psychologie sprechen wir von der Person-Umwelt-Interaktion. Für eine Verhaltensänderung ist die Motivation der betreffenden Person eine notwendige, aber vielleicht nicht hinreichende Voraussetzung. Es braucht gleichzeitig eine Umgebung, die eher förderlich als hinderlich ist”, so Prof. Dr. Benjamin Schüz, Professor am Institut für Public Health und Pflegeforschung an der Universität Bremen

Um eine gesündere Ernährungsweise in Kantinen und Mensen zu unterstützen, kann man beispielsweise gesündere Gerichte oder kleinere Portionsgrößen prominenter und attraktiver präsentieren. Diese Art von Maßnahme, die auf eine Umstrukturierung der Entscheidungsumwelt abzielt, wird auch unter den Begriff „Nudging” gefasst, der mit dem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt” populär wurde. „Richard Thaler und Cass Sunstein haben da einen wichtigen Gedanken formuliert, nämlich dass unsere Entscheidungsumgebung uns ja eigentlich schon Verhaltensoptionen als Standard nahelegt”, sagt Renner. „Nudging bedeutet, dass ich diese Entscheidungsarchitektur in meiner Umwelt wirklich genau anschaue und versuche, sie so zu strukturieren, dass sie meine Präferenzen oder Ziele unterstützt.” 

Durch eine gezielte Veränderung der Entscheidungsarchitektur – sogenannte Nudges – soll die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Option auszuwählen, erhöht werden. Gebote, Verbote oder entscheidungsrelevante ökonomische Reize sind keine Nudges. Außerdem müssen Nudges leicht und ohne Aufwand umgehbar sein. „Die zentrale Idee ist, dass die Wahlfreiheit erhalten bleibt und nichts weggenommen wird. In der Mensa wird also zum Beispiel die Currywurst mit Pommes nicht vom Menü gestrichen, sondern lediglich etwas versteckter und weniger ansprechend platziert”, so Schüz.

 „Im Grunde wird Nudging in allen Handlungsfeldern der Gesundheitsförderung und Prävention eingesetzt, zum Beispiel bei Ernährung, Bewegung oder Sucht, zur Erhöhung von Impfquoten oder von Teilnahmeraten an Vorsorgeuntersuchungen.”

 Dr. med. Mathias Krisam, läuft GmbH

Besonders im Gesundheitsbereich gibt es vielfältige Einsatzmöglichkeiten für unterschiedliche Arten von Nudges: „Im Grunde wird Nudging in allen Handlungsfeldern der Gesundheitsförderung und Prävention eingesetzt, zum Beispiel bei Ernährung, Bewegung oder Sucht, zur Erhöhung von Impfquoten oder von Teilnahmeraten an Vorsorgeuntersuchungen”, sagt Dr. med. Mathias Krisam, Gründer und Geschäftsführer der läuft GmbH. Zur Kundschaft der Beratungsagentur für verhaltenswissenschaftlich basierte Kommunikation im Gesundheitswesen zählen unter anderem Kommunen, Krankenversicherungen, Pharmaunternehmen und Akteur*innen im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung. 

Neben seiner Tätigkeit bei läuft, publiziert Krisam wissenschaftliche Arbeiten und Studien zu Nudging im Gesundheitsbereich. So führte er im Herbst 2019 gemeinsam mit Kolleg*innen eine Studie am S-Bahnhof Zoologischer Garten in Berlin durch, bei der Passant*innen mit witzigen Aufklebern dazu genudget werden sollten, statt der Rolltreppe die Treppe zu nehmen. In der Studie konnte ein signifikanter Effekt nachgewiesen werden: Im Schnitt nahmen täglich etwa 1200 Menschen mehr die Treppe. „Der Versuch hat gezeigt, dass wir mit Nudging sehr niedrigschwellig und kostengünstig Verhaltensänderungen anregen können”, so Krisam. Und auch andere Studien legen nahe, dass Nudging wirkt. „Es gibt immer mehr Studien und auch Metastudien, die zeigen, dass Nudging einen systematischen, erwünschten Effekt hat”, sagt Psychologin Britta Renner. Zwar gebe es noch keine wirklich langfristigen Studien, aber zumindest Hinweise, dass Nudging – je nach Bereich – auch nachhaltig wirken könne. 

 „Gerade in der Prävention herrscht oft soziale Selektion. Von den Programmen werden also nur die angesprochen, die sowieso schon gesundheitsbewusst sind – zu denen, die am meisten profitieren würden, dringen wir gar nicht durch.“

Dr. med. Mathias Krisam, läuft GmbH

Mathias Krisam sieht den Vorteil von Nudging vor allen Dingen darin, dass mit der Methode auch Personengruppen erreicht werden können, bei denen traditionelle Ansätze keine Wirkung zeigen. „Gerade in der Prävention herrscht oft soziale Selektion. Von den Programmen werden also nur die angesprochen, die sowieso schon gesundheitsbewusst sind – zu denen, die am meisten profitieren würden, dringen wir gar nicht durch. Das ist natürlich fatal”, so der Mediziner. „Im Nudging sehe ich die große Chance, diese soziale Selektion zu reduzieren, indem wir auf automatische Handlungsmuster abzielen und weniger auf edukative Elemente setzen.” Benjamin Schüz betont mit Verweis auf einen in Kürze erscheinenden Artikel zu sozioökonomischen Unterschieden in den Effekten von Nudging im Bereich Ernährung, dass es dabei aber auf die Art des Nudges ankomme: „Nudges die auf Informationen aufbauen, können bei benachteiligten Gruppen weniger gut wirken. Je eher sich Nudges aber direkt auf Verhalten beziehen, desto eher wirken sie unabhängig vom sozialen Hintergrund.”

Krisam plädiert dafür, Nudges in einen Mix aus verschiedenen Methoden einzubetten, um Verhaltensänderungen zu unterstützen: „Aus meiner Sicht gibt es vier Bausteine, um Gesundheitsverhalten zu ändern – Bildung beziehungsweise Aufklärung, Nudging und andere verhaltenswissenschaftliche Methoden, Steuern und Verbote. Es braucht eine sinnvolle Kombination der verschiedenen Bausteine, einer alleine reicht nicht aus. Es geht darum, bei den Menschen neue Routinen zu schaffen und dabei kann Nudging helfen.”

 „Wenn die Ziele nicht transparent sind oder sich die Zielpräferenzen der Anwender*innen von denen der Genudgeten unterscheiden, wird es meiner Meinung nach problematisch. Nudging sollte den Verbraucher*innen tatsächlich nützen und ihren Wünschen entsprechen.”

 Prof. Dr. Britta Renner, Universität Konstanz

Aber nicht alle sind von der Methode begeistert. Kritiker*innen sagen, Nudging sei Manipulation und lade die Verantwortung für strukturelle Probleme beim Individuum ab. Auf solche Kritik antworten Britta Renner und Mathias Krisam, dass es sich bei Nudging zunächst einmal um eine Methode handle und es sowohl auf die Akteur*innen ankomme, die sie anwenden, als auch auf die Ziele, die sie damit verfolgen. „Wenn die Ziele nicht transparent sind oder sich die Zielpräferenzen der Anwender*innen von denen der Genudgeten unterscheiden, wird es meiner Meinung nach problematisch. Nudging sollte den Verbraucher*innen tatsächlich nützen und ihren Wünschen entsprechen”, sagt Renner. 

Laut Krisam ist die Diskussion um Nudging in erster Linie eine Debatte zwischen Intellektuellen, die über die Köpfe der Bürger*innen hinweg geführt wird. Aus diesem Grund befragte er 2019 im Rahmen einer Studie 1000 Deutsche zu deren Akzeptanz von Nudges im Gesundheitsbereich. Rund 90 Prozent der Teilnehmenden standen solchen Nudges positiv oder zumindest neutral gegenüber, nur wenige lehnten Nudging klar ab. Zudem hält Krisam die Ablehnung von Nudging für naiv: „Auch ohne Nudging sind wir immer einem Design oder einer Entscheidungsarchitektur ausgesetzt. Und im Marketing werden bereits seit Jahrzehnten Methoden angewendet, die dem Nudging teilweise sehr ähnlich sind. Warum sollten wir verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse nicht auch für gesundheitsförderliche Ziele einsetzen?” Renner betont, dass es dazu zunächst einer öffentlichen Willensbildung bedürfe: „Wir müssen einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess anstoßen und schauen, wie wir unsere Umgebung gestalten wollen und welche Präferenzen und Ziele wir haben.”

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