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Fleisch aus dem Labor – Das war die Debatte

Eine Zusammenfassung

Fleisch ist für viele Menschen fester Bestandteil der Ernährung und kommt teilweise sogar täglich auf den Teller. In Deutschland sinkt der Fleischkonsum, weltweit jedoch wächst die Lust auf Fleisch. Die Welternährungsorganisation erwartet, dass die Fleischproduktion bis 2050 noch deutlich gesteigert wird, um die dann fast 10 Milliarden Menschen auf der Welt ernähren zu können. Die Probleme der Fleischproduktion sind jedoch hinlänglich bekannt: Umweltschäden, Flächenverbrauch und Tierleid

Weltweit forschen Wissenschaftler*innen, Startups und Großunternehmen nach Alternativen zu konventionell hergestelltem Fleisch. Eine Lösung: kultiviertes Fleisch aus dem Labor (engl. Cultured Meat). 

Wie Fleisch im Labor – bzw. in Bioreaktoren – hergestellt wird und unter welchen Voraussetzungen es auf dem europäischen Markt zugelassen wird, erfahrt ihr in unserem Listicle. Mehr über das Verfahren und die Vision von Cultured Meat, erklärt Marina vom Kanal Evolutionary in ihrem Video für Die Debatte.

Damit die tierischen Zellen im Bioreaktor wachsen können, brauchen sie ein Nährmedium, das beispielsweise aus Kälberserum gewonnen werden kann. Das wird häufig kritisiert, da das Kälberserum von ungeborenen Kälbern gewonnen wird und die Tiere dabei sterben. Das Ersetzen dieses Kälberserums sei eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Laborfleisch, erklärt Dr. Monika Röntgen, Zellforscherin am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) im Überblicksartikel zu kultiviertem Fleisch.  

Im Interview erklärt Röntgen, dass das Zellwachstum bei der Verwendung von Kälberserum zurzeit noch am effektivsten sei. Unter ihrer Federführung forschen Wissenschaftler*innen verschiedener Institutionen an einer Alternative, die ohne Tierleid und ohne Antibiotika auskommen soll. Denn in Röntgens Augen hat die Entwicklung von Zellfleisch viele Vorteile: Wir hätten viele Probleme nicht mehr, die die konventionelle Fleischproduktion mit sich bringt: ethische, gesundheitliche, umweltbedingte. Auch könnte nur das Fleisch gezüchtet werden, das auch tatsächlich gegessen wird: Die Menschen wollen vor allem Steak, Schnitzel oder Brust essen. Wir müssen uns deshalb fragen: Warum überhaupt züchten wir alles andere mit? Wenn wir auch auf zellbasierte Landwirtschaft setzen, können wir Fleisch gezielter produzieren und Gesundheitsaspekte berücksichtigen, erklärt die Zellforscherin.

Ob Cultured Meat tatsächlich ein Gamechanger für die Herausforderungen Umwelt, Welternährung und Tierleid sein kann, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Prof. Dr. Wolfram Schnäckel, Professor für Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Anhalt und Teil des Forschungskonsortiums, an dem auch Röntgen beteiligt ist, sieht in kultiviertem Fleisch die Chance, weniger Tierleid zu verursachen und einen Teil zur Ernährungssicherung beizutragen, wenn die Weltbevölkerung immer weiter wächst. Die Ethikerin Prof. Dr. Birgit Beck von der Technischen Universität Berlin hält Fleisch aus dem Labor nicht für notwendig, um diese Ziele zu erreichen. Sie schlägt stattdessen einen Ernährungswandel vor. Wie die Umweltbilanz von Cultured Meat aussehen wird, wenn dieses im großen Stil produziert wird, lässt sich noch nicht sagen. Es gibt derzeit lediglich Berechnungen zur Umweltbilanz, aus denen hervorgeht, dass vor allem der Energiemix bei der Produktion entscheidend ist.

Kann kultiviertes Fleisch die Fleischbranche nachhaltig verändern? Prof. Dr. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta schätzt: Ja, kultiviertes Fleisch werde konventionelles langfristig zu einem guten Teil ersetzen. Dieser Meinung ist auch Dr. Claus Deblitz vom Johann Heinrich von Thünen-Institut. Auch er betont, dass es eine langfristige Vision ist: Ich glaube nicht, dass es so schnell und disruptiv passiert, wie manche prognostizieren. Die Experten sind sich außerdem einig, dass letztendlich vor allem der Preis entscheidet, ob sich das Fleisch aus dem Labor auf dem Markt durchsetzt und weniger ethische Fragen. 

Ob Cultured Meat gesundheitliche Vorteile gegenüber konventionellem Fleisch hat, kann noch nicht festgestellt werden. Denn bisher ist das Fleisch aus dem Labor nicht zugelassen, sodass diese Aspekte noch nicht untersucht werden können. „Erst wenn Menschen in großem Umfang Fleisch aus dem Labor verzehren, können langjährige Beobachtungsstudien zu den gesundheitlichen Auswirkungen durchgeführt werden“, erklärt Prof. Dr. Christina Holzapfel vom Institut für Ernährungsmedizin der TU München. Die Ernährungswissenschaftlerin betont aber: Egal ob kultiviertes oder konventionelles Fleisch, unser Fleischkonsum ist zu hoch. 

Dr. Florian Fiebelkorn von der Universität Osnabrück erklärt im Interview, dass Bürger*innen in Deutschland Fleisch aus dem Labor offen gegenüberstehen: 58 Prozent der befragten Personen würden einen Burger aus kultiviertem Fleisch probieren. Vor allem Ekel und die Angst vor neuen Lebensmitteln ließen andere Menschen zögern. Kultiviertes Fleisch ist ein komplett neu kreiertes Lebensmittel und kommt nicht wie Insekten oder Sushi aus einem anderen Kulturkreis. Das macht vielen Menschen einfach Angst, weil sie nicht einschätzen können, wie es hergestellt wird, was es mit ihnen macht oder ob es nachhaltig ist, erklärt Fiebelkorn. Maßgeblich für den Erfolg von Cultured Meat werden nach Fiebelkorns Einschätzung sowohl Verpackung als auch Vermarktung der Produkte sein.

Wir haben Passant*innen in Berlin gefragt, ob sie das Fleisch aus dem Labor essen würden. Die Meinungen waren zwiegespalten: Einige halten Cultured Meat für sinnvoll, um Tierleid zu vermeiden und würden es essen. Andere hingegen waren sich unsicher oder lehnten den Verzehr ab – unter anderem, weil sie noch nicht genug über das Produkt wissen. Einen Vegetarier unter den Befragten konnte das kultivierte Fleisch nicht überzeugen. 

In einer Online-Debatte diskutierten Dr. Monika Röntgen, Prof. Dr. Birgit Beck und Dr. Florian Fiebelkorn über den Stand der Forschung, das Potenzial und die Herausforderungen von kultiviertem Fleisch. In Röntgens Augen schreitet die Forschung zu und die Umsetzung von kultiviertem in Deutschland zu langsam voran, wenn Deutschland in diesem Bereich europaweit mitmischen möchte. Birgit Beck steht der umfangreichen Einführung von Fleisch aus dem Labor skeptisch gegenüber: Es sei nicht sicher, dass alle positiven Effekte von kultiviertem Fleisch auch so zuträfen. Daher sollten wir uns die Frage stellen: Brauchen wir Fleisch aus dem Labor? Einig waren sich die Expert*innen darin, dass es noch dauern werde, bis das Fleisch in deutschen Supermärkten zu kaufen sein wird. Die Einschätzungen schwanken zwischen sieben und 17 Jahren.

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